atypische Beschäftigung

 

ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG:

 

21/07/2016:

Trotz steigender Erwerbszahlen auch 2015 keine Wende in Sicht

(von Markus Krüsemann)

 

Das Statistische Bundesamt hat weitere Ergebnisse des Mikrozensus zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit 2015 vorgelegt. Danach hat die atypische Beschäftigung 2015 wieder etwas zugenommen. Bedingt durch das Wachstum bei den Normalarbeitsverhältnissen blieb ihr Anteil an den Kernerwerbstätigen aber nahezu konstant.

 

Seit den 1990er Jahren haben atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Befristungen, Teilzeitbeschäftigung oder Minijobs gegenüber dem sog. Normalarbeitsverhältnis (vollzeitnahe, unbefristete Beschäftigung ohne Leiharbeit) stetig an Bedeutung gewonnen. Das Statistische Bundesamt dokumentiert dies regelmäßig anhand einer Auswertung von Daten des Mikrozensus zur Entwicklung der Kernerwerbstätigkeit nach einzelnen Erwerbsformen.

 

DESTATIS zufolge hatte der Anteil atypisch Beschäftigter an allen Kernerwerbstätigen 1991 bei 12,8 Prozent gelegen. Seitdem ist er nahezu kontinuierlich gestiegen, um bis 2007 seinen bislang höchsten Wert von 22,6 Prozent zu erreichen. Mit Ausnahme des Jahres 2009 ist die Zahl der atypischen Jobs noch bis 2011 weiter angestiegen, weil aber auch die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse (unbefristete Jobs außerhalb der Leiharbeit ab 20 Wochenstunden aufwärts) nach Jahren des Schrumpfens seit 2007 allmählich wieder zulegte, blieben die Anteile in etwa gleich.

 

2013 konnte das Amt erstmals eine leicht positive Entwicklung vermelden. 2012 war die Zahl der atypisch Beschäftigten seit Jahren endlich mal gesunken, wenn auch nur um magere 1,8 Prozent (siehe 28.08.2013). In den Jahren 2013 (siehe 26.11.2014) und 2014 (siehe 21.08.2015) setzte sich dieser Trend fort: leichte Rückgänge bei den atypisch Beschäftigten gingen einher mit Zuwächsen bei der Normalarbeit, was in der Folge zu einem Anteilsrückgang atypischer Jobs auf unter 21 Prozent führte.

 

Positiver Trend setzte sich 2015 nur bedingt fort

 

Diese insgesamt klare, wenn auch nur leicht rückläufige Entwicklung hat sich 2015 nicht mehr auf ganzer Linie fortgesetzt. Nach den jetzt vorgelegten Ergebnissen des Mikrozensus 2015 ist die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse wieder ganz leicht gestiegen, von 7,51 Millionen im Jahr 2014 auf 7,53 Millionen in 2015, ein allerdings kaum bedeutsames Plus von 0,4 Prozent. Da sich die Zahl der Erwerbstätigen in Normalarbeitsverhältnissen gleichzeitig um 1,3 Prozent erhöhte, sank zumindest der Anteil atypisch Beschäftigter von 20,9 auf 20,8 Prozent. Anders gesagt: Auch weiterhin ist jeder fünfte Kernerwerbstätige atypisch beschäftigt.

 

 Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen (in 1.000) 1993 bis 2015

Entwicklung atypische Beschäftigung bis 2015 (DESTATIS)
Quelle: Statist. Bundesamt: Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen. Ergebnisse des Mikrozensus

 

Laut Pressemitteilung des Statist. Bundesamtes beruhte das Wachstum bei den Normalarbeitsverhältnissen vor allem auf dem Zuwachs der Teilzeitbeschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden. Ihre Zahl erhöhte sich 2015 im Vorjahresvergleich um 5,7 Prozent. Die reguläre Vollzeitbeschäftigung stieg hingegen gerade mal um etwa 0,6 Prozent. Sieht so ein Boom guter Arbeit aus, wie die Badische Zeitung freudig titelt? Wohl kaum, zu großem Jubel besteht kein Anlass. Wie allein schon ein Blick auf die Grafik zeigt, hat das reine Normalarbeitsverhältnis noch immer nicht das Niveau der 1990er Jahre erreicht. 

 

Der Boom bei der sogenannten großen Teilzeit hält damit weiter an, und bereits hier stellt sich die Frage, inwieweit es Sinn macht, Teilzeitarbeit bereits ab einer Wochenstundenzahl von 21 Stunden statistisch der Normalarbeit zuzuschlagen. Können alle diese Teilzeitstellen als regulär bezeichnet werden?

 

Zahlen geben nicht das gesamte Ausmaß atypischer Beschäftigung wieder

 

Neben der Unterteilung der Teilzeitbeschäftigung sorgen noch weitere Besonderheiten dafür, dass das gesamte Ausmaß atypischer Beschäftigung im Mikrozensus nicht erfasst wird. Dies fängt schon bei der Beschränkung der Grundgesamtheit auf die sogenannten Kernerwerbstätigen an. Hier werden die eher eine atypische Beschäftigung ausübenden Gruppen der Schüler/innen, Studierenden, Auszubildenden und Rentner/innen nicht berücksichtigt (siehe die Erläuterung des Statist. Bundesamtes), während andererseits die wohl kaum von atypischer Beschäftigung betroffenen Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen mit einbezogen werden. Anstatt hier zumindest die Solo-Selbstständigen, die man mit guten Gründen auch zu den atypisch Beschäftigten rechnen könnte, herauszunehmen, werden sie mit den Selbstständigen in einen Topf geworfen. Zudem wirkt sich auch der bereits angesprochene Einbezug von Teilzeitarbeit in das Normalarbeitsverhältnis schon bei mehr als 20 Wochenstunden dämpfend aus.

 

Mit einem anderen Berechnungsansatz, wie ihn etwa das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für seine regionale Datenbank „Atypische Beschäftigung“ verwendet, ergeben sich schnell andere Werte von deutlich mehr als einem Drittel atypisch Beschäftigter (vgl. dazu 27.04.2015).

 

 Entwicklung der abhängigen Beschäftigung nach einzelnen Erwerbsformen

Entwicklung atypische Beschäftigung (WSI)
Quelle: WSI Datenbank "atypische Beschäftigung"

 

Fazit

 

Bei der Entwicklung der atypischen Beschäftigung ist weiterhin keine Wende in Sicht. Zwar hat sich offensichtlich ein Ende der Wachstumsdynamik eingestellt, doch ist diese Entwicklung begleitet von einer Verfestigung atypischer Erwerbsformen auf hohem Niveau. Die trotz steigender Erwerbstätigkeit nur sehr geringe Ausweitung regulärer Vollzeitarbeit und der ungebrochene Trend zur Teilzeitarbeit zeigen, dass es mit der Dominanz von verlässlichen, nicht-prekären und existenzsichernden Normalarbeitsverhältnissen wohl endgültig vorbei ist. Eine längst schon fällige Verkürzung der Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich könnte der Spaltung des Arbeitsmarktes eventuell entgegenwirken, doch fehlt es an handlungsmächtigen Akteuren, dies durchzusetzen.

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Quellen:

Pressemitteilung Nr. 255 des Statist. Bundesamtes vom 20.07.2016

 

DESTATIS: Atypische Beschäftigung - Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen.

 

Spiegel online vom 20.07.2016

 

Weiterlesen:

 

- Arnold, M./ Mattes, A./ Wagner, G.C. (2016): Normale Arbeitsverhältnisse sind weiterhin die Regel. In: DIW Wochenbericht, 83. Jg., Nr. 19, S. 419-427.

 

- WSI-Datenbank „Atypische Beschäftigung“.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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