Niedriglöhne Geringverdiener

 

NIEDRIGLOHNSEKTOR:

 

27/03/2017:

Zwei Prozent der Tariflohngruppen noch unter Mindestlohn

(von Markus Krüsemann)

 

Jedes Jahr im Frühjahr legt das WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung mit dem „Niedriglohn-Monitoring“ die Ergebnisse zur Entwicklung im Bereich der tarifvertraglich vereinbarten Niedriglöhne vor. Nicht zuletzt dank des gesetzlichen Mindestlohns ging deren Zahl seit 2015 klar zurück, doch waren auch 2017 noch Löhne unterhalb von 8,84 Euro möglich.

 

Auch gut zwei Jahre nach Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns gibt es noch per Tarifvertrag vereinbarte Löhne, die unterhalb dieser Entgeltgrenze von aktuell 8,84 Euro liegen. Zu Beginn des Jahres 2017 war dies noch in sechs Prozent aller tariflichen Vergütungsgruppen der Fall, so lautet eine zentrale Aussage in der Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung zur Entwicklung der Tariflöhne in Deutschland.

 

Das klingt zunächst negativ, denn Anfang 2016 war ihr Anteil bereits auf drei Prozent zurückgegangen (siehe 10.03.2016). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass bei vier Prozent dieser tariflichen Vergütungsgruppen der vereinbarte Niedriglohn nur noch auf dem Papier steht, weil die Beschäftigten ein Anrecht auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohn haben. So bleibt am Ende noch ein Anteil von zwei Prozent, bei dem die im Mindestlohngesetz formulierten Ausnahmeregelungen greifen und so weiterhin Stundenlöhne unterhalb von 8,84 Euro (brutto) ermöglichen. Betroffen sind Beschäftigte der Branchen Land- und Forstwirtschaft/Gartenbau, Fleischindustrie und Wäschereidienstleistungen sowie die ZeitungszustellerInnen, deren unterste Entlohnung im Mindestlohngesetz auf 8,50 Euro für 2017 festgeschrieben worden ist.

 

Mindestlohnerhöhung lässt Vergütungsgruppen unter Mindestlohnschwelle rutschen

 

Wie die jährlich durchgeführte Untersuchung von knapp 4.500 Vergütungsgruppen aus 40 Branchen und Wirtschaftszweigen weiter ergab, ist die absolute Zahl der zwischen DGB-Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelten tariflichen Vergütungsgruppen unterhalb der Mindestlohnschwelle wieder gestiegen. Im Januar 2017 existierten in 18 Branchen per Tarifvertrag noch 248 Vergütungsgruppen unterhalb von 8,84 Euro. Anfang 2016 hatten nur 16 Branchen mit 122 Tarifgruppen unter dem damaligen Schwellenwert von 8,50 Euro gelegen. Die Anhebung des Mindestlohns auf 8,84 Euro zu Beginn des Jahres hat demnach eine Reihe von Vereinbarungen wieder unter die Mindestlohngrenze rutschen lassen. In einigen Fällen ist dadurch auch der Anteil der Vergütungsgruppen unterhalb des Mindestlohns an allen Vergütungsgruppen einer Branche wieder gestiegen.

 

Mehr Tariflöhne oberhalb von zehn Euro

 

Für Januar 2017 weist das WSI-Tarifarchiv noch 559 tarifliche Vergütungsgruppen aus, in denen Entgelte von weniger als zehn Euro pro Stunde (brutto) vereinbart worden sind. Das entspricht einem Anteil von 13 Prozent an allen Vergütungsgruppen. 2016 hatte dieser Anteil noch bei knapp 15 Prozent gelegen. Mittlerweile sehen also 87 Prozent aller Vergütungsgruppen Stundenlöhne von mindestens zehn Euro vor. Der Anteil der Vergütungsgruppen mit Entgelten von 15 Euro und mehr stieg im gleichen Zeitraum ebenfalls, und zwar von 40 auf 41 Prozent. Eine insgesamt zwar positive Entwicklung, die aber noch viel Luft nach oben hat.

 

Wie auch immer sich die tariflichen Niedriglohngruppen weiter entwickeln, eins ist bereits heute gewiss: Ab 2018 greifen alle dann noch bestehenden Niedriglohntarifvereinbarungen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns nicht mehr. Abgesehen von den im Mindestlohngesetz fixierten Ausnahmen für bestimmte Gruppen sind Stundenlöhne unter 8,84 Euro dann generell nicht mehr erlaubt. Niedriglöhne per Tarifvertrag schon...

 

Das Tarifarchiv des WSI hat als zentrale Dokumentationsstelle der DGB-Gewerkschaften die Aufgabe, das laufende Tarifgeschehen zu dokumentieren und auszuwerten. Das Archiv informiert über die tarifpolitische Entwicklung und die tariflichen Regelungen und Leistungen in über 50 Wirtschaftszweigen in West- und Ostdeutschland.

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Quellen:

WSI-Pressemitteilung vom 27.03.2017

 

Bispinck, R./ WSI-Tarifarchiv (2017): WSI Niedriglohn-Monitoring 2017 - Mindestlöhne und tarifliche Niedriglöhne im Jahr 2017. Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 83, Düsseldorf.

 

Weiterlesen:

 

- Bispinck, R/ WSI-Tarifarchiv (2016): WSI Niedriglohn-Monitoring 2016 - Entwicklung der tariflichen Vergütungsgruppen in 40 Wirtschaftszweigen. Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 81, Düsseldorf.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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