Arbeit auf Abruf KAPOVAZ

 

TEILZEITARBEIT:

 

24/11/2016:

Arbeit auf Abruf - ein blinder Fleck in der Arbeitsmarktpolitik

(von Markus Krüsemann)

 

Mit Arbeit auf Abruf weitet sich eine für die Betroffenen enorm belastende Beschäftigungsform aus. Anlass genug für die arbeitsmarktpolitisch Verantwortlichen in der Bundesregierung, gegen solche Auswüchse extremer Ausbeutung einzuschreiten. Die aber haben gar keine Ahnung, in welchem Maße die flexible Beschäftigungsform genutzt wird, dabei gibt es genügend Hinweise, aktiv zu werden.

 

Bei der Arbeit auf Abruf, auch kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ) genannt, handelt es sich um eine Form der extrem flexiblen Beschäftigung, bei der die Arbeitnehmer/innen ihre Arbeitsleistung je nach betrieblichem Arbeitsanfall erbringen. Die so Beschäftigten haben meist einen Teilzeitvertrag mit einer bestimmten Zahl an fest vereinbarten Arbeitsstunden. Wann sie arbeiten und wieviel sie zusätzlich zu den Feststunden arbeiten, das hängt vom Bedarf ab, über dessen Vorliegen allein der Arbeitgeber entscheidet. Es geht also nicht nur um zeitlich flexible Arbeitszeiten, sondern auch um flexibel schwankende Arbeitsmengen (vgl. 27.11.2014).

 

Arbeit auf Abruf kommt nur selten bei Vollzeitbeschäftigten vor, sie ist eher im Bereich der Teilzeit- und der geringfügigen Beschäftigung anzutreffen. Als Extremform der flexiblen Teilzeitarbeit fällt sie unter die gesetzlichen Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG). Speziell für die Arbeit auf Abruf gibt es allerdings nur wenige rechtliche Vorgaben, die den Rahmen dafür abstecken, wann und wieviel flexibel gearbeitet werden kann. So bestimmt  § 12 TzBfG , dass zwischen Arbeitnehmer/innen und dem Arbeitgeber eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit (quasi die Untergrenze) vertraglich festgelegt werden muss. Nach oben ist die Arbeitszeit offen (schwankendes Arbeitsvolumen), jedoch darf der variable Anteil 25 Prozent der vereinbarten wöchentlichen Mindestdauer nicht überschreiten. Über die Lage und die Verteilung der Arbeitszeit kann der Arbeitgeber weitgehend frei bestimmen. Rechtlich ist er nur verpflichtet, sich an eine Vorankündigungsfrist zu halten: Ein jeweils anstehender Arbeitseinsatz muss den Beschäftigten mindestens vier Tage im Voraus mitgeteilt werden.

 

Arbeit auf Abruf weitet sich aus

 

Einer 2012 beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichten Studie zufolge nutzten im Jahr 2010 acht Prozent der Betriebe in Deutschland Arbeit auf Abruf, dies betraf etwa 5,4 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland (Schult/Tobsch 2012). Seitdem hat sich die Arbeit nach Bedarf weiter ausgebreitet, wie neuere Untersuchungen belegen.

 

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass 2013 bereits 13 Prozent der Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten diese Arbeitszeitform nutzten (Fischer/Gundert u.a. 2015:218f.). Da kleinere Betriebe nicht erfasst wurden, ist die Verbreitung in der Arbeitswelt faktisch noch größer, denn gerade Klein- und Kleinstbetriebe machen häufiger als Großbetriebe von dem flexiblen Personaleinsatz Gebrauch. Laut IAB-Studie waren 17 Prozent der in diesen Betrieben sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten von Arbeit auf Abruf betroffen. Da die Zahl auf Basis einer Selbsteinschätzung der Befragten erhoben worden ist, dürfte sie mit Fehlern behaftet sein, also zu hoch liegen. Eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) durchgeführte Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergab für das Jahr 2014 einen Anteil von rund 5 Prozent aller Arbeitnehmer/innen, die von Arbeit auf Abruf betroffen waren (DGB 2016).

 

Die Bundesregierung ist ahnungslos

 

Für die Linkspartei waren die Zahlen Anlass genug, nachzuhaken und mittels einer Kleinen Anfrage ihrer Bundestagsfraktion von der Großen Koalition weitere Aufklärung zu erbitten. Die aber zeigt sich weitgehend ahnungslos. In ihrer Antwort auf die Fragen nach dem Ausmaß von Arbeit auf Abruf, nach der Zahl der sie nutzenden Betriebe und der davon betroffenen Beschäftigten wollte die Bundesregierung sich nicht festlegen. Aus den vorliegenden nicht-amtlichen Befragungsergebnissen könne man keine valide Aussage zur Verbreitung von Arbeit auf Abruf treffen, hieß es. Augenscheinlich erachtet man in Berlin die Zahlen des DGB für nicht seriös genug. Dass man aber auch die Befunde der IAB-Untersuchung nicht nutzen mag, muss verwundern, denn immerhin handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführt worden ist.

 

Komplett ahnungslos ist die Regierung hinsichtlich der durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten, der Bruttolöhne und ihren jeweiligen Schwankungen im Zeitverlauf. Gleiches gilt für das Ausmaß von arbeitsrechtlichen Verstößen. Antwort jeweils: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“. Von den insgesamt sechzehn Fragen wurde nur die letzte Frage zu den gesundheitlichen Folgen befriedigend beantwortet.

 

Man kann vermuten, dass der Großen Koalition die Einhegung einer immer extremeren Flexibilisierung der Arbeit nicht so wichtig ist. Man muss aber daraus schließen, dass Phänomene der Arbeit auf Abruf wie auch andere Formen der Arbeitskraftnutzung nach Bedarf in der Politik seit Jahren keine Rolle spielen. Es handelt sich quasi um einen blinden Fleck in der Arbeitsmarktpolitik, der dafür sorgt, dass eine längst überfällige Regulierung erst gar nicht in den Blick gerät.

 

Was die Regierung wissen könnte und wissen muss

 

- Im Jahr 2013 nutzten 13 Prozent aller Betriebe mit über zehn Beschäftigten Arbeit auf Abruf;

 

- 2014 arbeiteten rund fünf Prozent aller Arbeitnehmer/innen auf Abruf;

 

- Arbeit auf Abruf ist vor allem bei geringfügig Beschäftigten verbreitet. 12,7 Prozent der Mini-
  jobber/innen waren 2014 betroffen, wie auch 5,3 Prozent der anders Teilzeitbeschäftigten;

 

- Bei Arbeit auf Abruf sind Nutzen und Risiken extrem ungleich verteilt: Während die Beschäf-
  tigten mit unregelmäßigen Einkommen und einem kaum planbaren Alltag zurecht kommen
  müssen, profitieren Arbeitgeber gleich doppelt. Sie haben höchste Flexibilität im Personal-

  einsatz, zugleich können sie ihr wirtschaftliches Risiko in höchstem Maße abwälzen.

 

Allein diese wenigen bekannten Eckpunkte sollten für die in der Großen Koalition arbeitsmarktpolitisch Verantwortlichen Anlass genug sein, gegen solche Auswüchse extremer Ausbeutung einzuschreiten. Die dort herrschende (vorgebliche) Ahnungslosigkeit zeigt aber, dass man im Arbeitsministerium derzeit nicht vorhat, gegen den Wildwuchs aktiv zu werden. Übrigens: In Österreich ist Arbeit auf Abruf verboten.

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Quellen:

„Arbeit auf Abruf“. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs 18/10356 (Nov. 2016).

 

DGB Bundesvorstand (Hg.) (2016): Arbeit auf Abruf: Arbeitszeitflexibilität zulasten der Beschäftigten.

 

Fischer, G./ Gundert, S. u.a. (2015): Situation atypisch Beschäftigter und Arbeitszeitwünsche von Teilzeitbeschäftigten.

 

Schult, M./ Tobsch, V. (2012): Freizeitstress – wenn die Arbeit ständig ruft. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, No. 485, Berlin.

 

§ 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)

 

Weiterlesen:

 

- KAPOVAZ und das Märchen vom deutschen Jobwunder.

 

- „Arbeit auf Abruf: Das Leiden der Arbeitnehmer“, NDR.de vom 31.10.2016

 

- Absenger, N./ Ahlers, E. u.a. (2014): Arbeitszeiten in Deutschland: Entwicklungstendenzen und Herausforderungen für eine moderne Arbeitszeitpolitik. WSI-Report, Nr.19, Nov. 2014.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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