Minijobs geringfügige Beschäftigung

 

MINIJOBS:

 

24/03/2017:

Alles koscher bei den Minijobs? Wohl kaum

(von Markus Krüsemann)

 

Urlaubsanspruch? Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Bei den Minijobs wird besonders häufig getrickst. Es kann daher nur wenig überraschen, dass auch bei der Bezahlung das Prinzip “kreative Lohngestaltung” angewendet wird. Neuester Aufreger: Geringfügig Beschäftigte erhalten oft nicht mal den Mindestlohn. Doch all diese Probleme sind schon länger bekannt.

 

Schlagzeilen der Medien sind ein Fall für das Kurzzeitgedächtnis. Schon am nächsten Tag sind sie weit nach unten durchgerutscht. Doch leider werden auch die berichteten Sachverhalte allzu schnell wieder vergessen. Gelesen, verstanden, kurz erregt und irgendwo abgespeichert - bis zum nächsten Mal. Da war doch schon mal was...

 

Die arbeitsrechtlich oft fragwürdige Situation bei den Minijobs ist so ein Fall. Gestern ging darob die mediale Erregungskurve steil nach oben. Jeder achte Minijobber bekommt keinen Mindestlohn, wusste Spiegel Online zu melden. Bei Zeit Online waren Millionen Minijobber ohne bezahlten Urlaub. Nahezu jedes Onlineportal hatte dazu einen Bericht im Portfolio, und das ist durchaus erfreulich, denn auf die defizitäre Situation von prekär Beschäftigten kann nicht oft genug aufmerksam gemacht werden.

 

Hintergrund der Berichterstattung bildete diesmal eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). In dem Gutachten für das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales wurden die gut 1,7 Millionen geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in Nordrhein-Westfalen im Sinne einer aktualisierten Bestandsaufnahme durchleuchtet. Dort ist fast jeder fünfte Job ein Minijob. Die Ergebnisse sind laut RWI auf das gesamte Bundesgebiet übertragbar. Sie zeigen, dass die 450-Euro-Kräfte auch weiterhin zu oft als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt werden.

 

Kein Mindestlohn, wenig Arbeitnehmerrechte

 

Hinsichtlich der Entlohnung hat die RWI-Befragung vom August/September 2016 ergeben, dass rund ein Viertel der MinijobberInnen ziemlich genau den Mindestlohn gezahlt bekommt. Doch immerhin 14,5 Prozent der befragten ArbeitnehmerInnen gaben an, einen geringeren Stundenlohn zu erhalten. In nur 17,1 Prozent dieser Fälle war die Bezahlung unterhalb des Mindestlohns legal, weil eine der vielen Ausnahmeregelungen (etwa für Zeitungszusteller oder Minderjährige) gegriffen hat. Das bedeutet, „dass 12,0 Prozent aller geringfügig Beschäftigten einen Lohn unter 8,50 Euro erhält und es hierfür keine Ausnahme- oder Übergangsregelung gibt“, so die Verfasser der Studie. Die Mehrheit der Verstöße spielt sich übrigens in typischen Niedriglohnbranchen ab, in denen Minijobs stark verbreitet sind. Betroffen sind vor allem geringfügig Beschäftigte im Handel, dem Gastgewerbe, dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie dem Reinigungsgewerbe.

 

Der Rechtsmissbrauch bei den Minijobs erstreckt sich jedoch weiter, denn die üblichen arbeits- und kollektivrechtlichen Standards werden immer noch zu selten eingehalten. Sowohl beim bezahlten Urlaub, als auch bei der Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Feiertagen liegt es zu oft im Argen. Laut RWI-Studie waren die gesetzlich vorgesehenen Leistungen „für mindestens knapp die Hälfte der geringfügig Beschäftigten zum Zeitpunkt der Befragung nicht existent (...). Dies kommt am häufigsten bei der Entgeltfortzahlung an Feiertagen (68,6 Prozent) und am seltensten bei bezahltem Urlaub (48,0 Prozent) vor.“

 

WSI: Mindestlohn wurde anfangs millionenfach unterlaufen

 

Tricksereien bei den Minijobs? Da war doch schon mal was. Da war sogar schon häufig was. Erst im vergangenen Januar hatten Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung nachzuweisen versucht, dass sehr viele geringfügig Beschäftigte „mit illegalen Minigehältern abgespeist“ werden, wie Süddeutsche.de es nannte. In den ersten Monaten nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hätte immer noch gut die Hälfte der MinijobberInnen zu einem Lohn unterhalb der vorgeschriebenen 8,50 Euro gearbeitet, schrieben die Autoren in ihrer Analyse. Bis zum Juni 2015 sei der Anteil dann auf 44 Prozent gesunken. Auch zu diesem Zeitpunkt wäre das Mindestlohngesetz also noch millionenfach unterlaufen worden.

 

War es ein Stich ins Wespennest? Liegt die Zahl der Mindestlohnverstöße tatsächlich deutlich über den vom RWI errechneten 12 Prozent? Das wäre ein echtes Politikum. Doch hatten sich die Wissenschaftler mit der gewählten Analysemethode angreifbar gemacht, sodass es aus der Riege der Wirtschaftsfreunde Kritik hagelte. Obwohl die Autoren der Studie selbst darlegten, dass die Datenlage für eine exakte Bezifferung nicht ausreicht, ereiferte sich z.B. FAZ.net über einen angeblich inszenierten Minijob-Skandal. Der Wirtschaftsrat der CDU war weniger vornehm und packte gleich die Keule “Propagandatrick” aus. Getroffene Hunde bellen, kommt es einem da in den Sinn.

 

Noch mehr Studien mit den immergleichen Kritikpunkten

 

Befunde und Analysen zur Situation der geringfügig Beschäftigten liegen seit Jahren in hoher Zahl und mit verlässlichen Ergebnissen vor. Auch das RWI hatte schon 2012 die Minijobs einer Analyse unterzogen und Fälle von Rechtsmissbrauch in großer Zahl feststellen müssen. Bezahlter Urlaub und Entgeltfortzahlungen wurden damals sogar nur von einem Viertel der ArbeitnehmerInnen in Anspruch genommen. In puncto Arbeitnehmerrechte hat sich die Lage in den letzten Jahren also etwas verbessert.

 

Die Bezahlung unterhalb des Mindestlohns gehörte damals natürlich noch nicht zu den Rechtsverstößen, was aber nichts daran ändert, dass die Entlohnung sehr oft sehr schlecht ausfiel. 2012 hatte noch jeder zweite geringfügig Beschäftigte ganz legal weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. Bei fast einem Viertel hatte der Stundenlohn sogar unter sieben Euro (brutto) gelegen. Aus dieser legalen Lohndrückerei ist jetzt immerhin eine illegale geworden - mit dem Effekt, dass sich auch die Verdienstsituation der Minijobber heute etwas besser darstellt als vor 2015.

 

2015 war es dann am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), mal wieder auf die reduzierten Schutzniveaus bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen aufmerksam zu machen. Im Zuge der IAB-Beschäftigtenbefragung gaben 35 Prozent der MinijobberInnen an, keinen bezahlten Urlaub zu erhalten. Sogar 46 Prozent der Befragten erhielten nach eigenen Angaben keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

 

Fazit

 

Seit der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse im April 2003 stehen die Minijobs in der Kritik. Die immer wieder mit Zahlenbelegen unterfütterten Berichte über Missstände (von denen hier nur ein kleiner Teil abgehandelt werden konnte) haben an den Ursachen, den Konstruktionsmängeln der Beschäftigungsform, nicht wesentlich rütteln können. Auch der Missbrauch von geringfügig Beschäftigten zieht sich wie ein roter Faden durch die Analysen.

 

Die überarbeiteten Regeln hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung bei Minijobs waren ein kleiner Fortschritt, doch erst die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat die Rahmenbedingen für die JobberInnnen etwas zum Positiven wenden können. Durch das Mindestlohngesetz wurde endlich wieder die monatliche Arbeitszeit von geringfügig Beschäftigten gedeckelt, und auch die Verdienstsituation hat sich gebessert. Grundlegende Änderungen sind das nicht. Wer wirklich Grundlegendes ändern will, der muss die Abschaffung der Minijobs angehen.

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Quellen:

RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.) (2016): Nachfolgestudie zur Analyse der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs) sowie den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, Endbericht, Essen.

 

Pusch, T./ Seifert, H. (2017): Mindestlohngesetz: Für viele Minijobber weiterhin nur Minilöhne. WSI Policy Brief Nr. 09, 01/2017, Düsseldorf.

 

RWI – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.) (2012): Studie zur Analyse der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, Projektbericht, Dezember, Essen.

 

Stegmaier, J./ Gundert, S. u.a. (2015): Bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: In der Praxis besteht Nachholbedarf bei Minijobbern. IAB-Kurzbericht, Nr. 18/2015, Nürnberg

 

Sell, S. (2017): Minijobs diesseits und jenseits vom Mindestlohn sowie darüber hinaus die Frage: Muss und sollte es so bleiben mit den Minijobs? Sozialpolitik aktuell, Blogeintrag vom 31.01.2017.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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