Mindestlohn Mindestlöhne

 

MINDESTLÖHNE:

 

23/05/2016:

Mindestlöhne sind für die Beschäftigungschancen Geringqualifizierter nicht relevant

(von Markus Krüsemann)

 

Mindestlöhne als Jobkiller, diese simple theoretische Ableitung ist empirisch längst widerlegt. Was aber ist mit den Risikogruppen am Arbeitsmarkt? Sind Geringqualifizierte und junge Beschäftigte nicht doch die Verlierer von gesetzlich verordneten Lohnuntergrenzen? Ein neuer, umfassender Ländervergleich gibt auch hier Entwarnung.

 

Mindestlöhne wirken sich negativ auf die Beschäftigung auf, so lautete jahrelang das Credo einflussreicher Ökonomen in Deutschland, die damit mal mehr, mal weniger offen dem Wunsch der Wirtschaft nachkamen, ihnen „seriöse“ Argumente für ein fortgesetztes Zahlen möglichst niedriger Löhne zu liefern. Basis ihrer Aussagen bildeten meist ökonometrische Simulationen, Modellrechnungen und Schätzungen, mit denen sich das theoretisch sowieso schon feststehende Diktum der neoklassischen Wirtschaftstheorie geschmeidig bestätigen ließ. Diese Vorgehensweise führt zwar verlässlich zu den gewünschten Ergebnissen, ist aber dem Stand der internationalen Mindestlohnforschung schon längst nicht mehr angemessen, die weniger auf Modellrechnungen statt auf empirische Untersuchungen, Fallstudien und Quasi-Experimente setzt.

 

Die Ergebnisse der neueren empirischen Mindestlohnforschung zeigen ganz überwiegend, dass Mindestlöhne kaum negative Beschäftigungseffekte nach sich gezogen haben. Dieser Befund gilt nicht nur für Analysen zu den Branchenmindestlöhnen in Deutschland (siehe 18.11.2011). In vielen anderen Staaten, wie z.B. den USA (siehe 18.02.2013), Großbritannien, Südafrika (siehe 12.04.2013) oder Russland (siehe 16.01.2014) ließ sich der behauptete negative Zusammenhang ebenfalls nicht nachweisen. Auch der im Januar 2015 in Deutschland eingeführte allgemeine gesetzliche Mindestlohn hat nach bisherigem Kenntnisstand der Beschäftigung nicht geschadet (zu den Gründen siehe 09.07.2015) – im Gegenteil: Eine aktuelle Analyse aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Ergebnis, dass der seit 2012 zu beobachtende Trend einer kontinuierlich ansteigenden Gesamtbeschäftigung sich auch nach der Einführung des Mindestlohns fortgesetzt hat (vom Berge u.a. 2016).

 

Schaden Mindestlöhne Geringqualifizierten und jungen Beschäftigten?

 

Ein gewichtiges Gegenargument ist den Mindestlohngegnern allerdings noch geblieben. Ihrer Ansicht nach erhöhen Mindestlöhne die Beschäftigungsrisiken für Jugendliche und Geringqualifizierte, zweier ohnehin von Arbeitslosigkeit vergleichsweise stärker bedrohten Arbeitsmarktgruppen. Sie seien daher die Verlierer gesetzlich verordneter Lohnuntergrenzen. Anders als im oben dargestellten Fall können sie dabei auch auf einige empirische Studien verweisen, die negative Beschäftigungseffekte gefunden haben. Dem stehen allerdings eine Reihe anderer Analysen gegenüber, die zu gegenteiligen Ergebnissen gekommen sind. Die auf nationalen Studien basierenden Erkenntnisse sind also widersprüchlich.

 

Bei den wenigen bisher vorliegenden länderübergreifenden Analysen sind die Ergebnisse in Bezug auf die Risikogruppen ebenfalls nicht eindeutig. Der ehemals am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) beschäftigte, derzeit an der University of Massachusetts in Amherst an seiner Dissertation arbeitende Volkswirt Simon Sturm hat dies zum Anlass genommen, mit Hilfe erst kürzlich von der OECD bereitgestellter Beschäftigungsdaten den Effekt von Mindestlöhnen auf die Beschäftigung junger und gering qualifizierter Arbeitnehmer/innen länderübergreifend erneut einzuschätzen. Um zu den gewünschten zeitlich und räumlich stärker verallgemeinerbaren Aussagen zu kommen, nutzte Sturn Datensätze für 19 OECD-Länder, die sich für die Geringqualifizierten über sechzehn, für die jungen Beschäftigten (15-24 Jahre) sogar über dreißig Jahre erstrecken.

 

In Bezug auf die Gruppe der Geringqualifizierten konnte Sturn mithilfe einer Reihe von Schätzverfahren keinen signifikant negativen Einfluss von Mindestlöhnen auf die Beschäftigung Geringqualifizierter messen, ein Befund, der sowohl in wirtschaftlichen Boom- als auch Rezessionsphasen eintrat. Dort wo ein Rückgang gering qualifizierter Beschäftigung zu messen war, fand der zeitlich bereits vor Mindestlohnanhebungen statt und beschleunigte sich auch nicht signifikant nach solchen Erhöhungen.

 

Die Ergebnisse für die Gruppe der jüngeren Beschäftigten fielen ähnlich aus. Allerdings sprich Sturn hier nur davon, keine umfangreichen negativen Beschäftigungseffekte gefunden zu haben. Weiterhin hält er fest, dass in wirtschaftlichen Boomphasen keine positiven Beschäftigungseffekte nachweisbar waren, während in Rezessionsphasen gar keine Effekte messbar waren.

 

Beschäftigungseffekte insgesamt nicht signifikant

 

Das Fazit des Autors fällt am Ende eindeutig aus: “These findings suggest that there is little evidence for substantial disemployment effects of minimum wages in the samples of low-skilled and youth labor market outcomes.” In den untersuchten OECD Ländern könne für die letzten Dekaden daher festgehalten werden, dass die dort geltenden Mindestlöhne kein ökonomisch relevanter Bestimmungsfaktor für die Arbeitsplatzverluste von gering qualifizierten oder jüngeren Beschäftigten gewesen sind. Man darf gespannt sein, ob zukünftige empirische Untersuchungen die Befunde und Anhaltspunkte dieser Modellrechnungen bestätigen können.

 

Quellen:

Sturn, S. (2016): Do Minimum Wages Lead to Job Losses? Evidence from OECD Countries on Low-Skilled and Youth Employment. Political Economy Research Institute, Working Paper Series, No, 418, University of Massachusetts.

 

vom Berge, P./ Kaimer, S. u.a. (2016): Arbeitsmarktspiegel: Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe 1). IAB Forschungsbericht, Nr. 01/2016, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Allegretto, S./ Dube, A. u.a. (2013): Credible Research Designs for Minimum Wage Studies. IZA Discussion Paper No. 7638, Sept. 2013.

 

- Bosch, G./ Weinkopf, C. (2014): Zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland, Arbeitspapier Nr. 304 der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf (Juni 2014).

 

- Bosch, G. (2010): Beschäftigung und Mindestlöhne - Neue Ergebnisse der empirischen Mindestlohnforschung. In: WSI-Mitteilungen, 63. Jg., Nr. 8, S. 404-411.

 

- Neumark, D./ Salas, I./ Wascher, W. (2013): Revisiting the Minimum Wage-Employment Debate: Throwing Out the Baby with the Bathwater?, IZA Discussion Paper, No. 7166, Jan. 2013.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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