Mindestlohn Mindestlöhne Lohnuntergrenze

 

MINDESTLÖHNE:

 

09/07/2015:

Jobkiller mit Ladehemmung?  Warum die Mindestlohn-einführung weitgehend problemlos verlief

(von Markus Krüsemann)

 

 

Der Mindestlohn. Was haben Unternehmen und ihre Lobbyisten in Verbänden und in der Wissenschaft nicht alles versucht, um ihn schon im Vorfeld und noch nach seiner Einführung zu Jahresbeginn zu diskreditieren – wohl wissend, dass die 8,50 Euro sowieso zu niedrig angesetzt waren, als dass (in Verbindung mit den Ausnahmeregelungen) ein zahlenmäßig relevanter Teil der Geringverdiener wirklich profitiert hätte (siehe 29.01.2014). Nichtsdestotrotz wurde gern - und speziell von neoliberalen Ökonomen - die Mär vom Jobkiller verbreitet. Durch Drehen an den richtigen Stellschrauben ließ sich in Simulationsrechnungen und Schätzungen schnell der Verlust von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen „belegen“ (siehe 20.03.2014).

 

Ein halbes Jahr nach Einführung des Mindestlohns sind die Horrorszenarien in sich zusammengefallen, die beschworene Katastrophe ist ausgeblieben. Nicht Jobverluste, sondern fortgesetzter Beschäftigungsaufbau prägt das Bild am Arbeitsmarkt. Auch andere negative Folgen sind (bisher) weitgehend ausgeblieben. Und weil selbst Unternehmensbefragungen nichts wirklich substanziell Schädliches hergaben, mussten interessierte Kreise schon zu absurden Argumentationsfiguren greifen, um dem Mindestlohn ans Zeug zu flicken: Da wurde ein "Bürokratiemonster"-Popanz aufgeblasen oder der Mindestlohn wurde für eine Ausweitung von Schwarzarbeit verantwortlich gemacht. Auch muss er als Preistreiber und, dem Verlauf der Erntesaison folgend, mal als Spargel-, dann als Erdbeer- und Gurkenkiller herhalten.

 

Für die an seriösen Erkenntnissen interessierte Mindestlohnforschung spielen sich solche Kinkerlitzchen allenfalls auf Nebenschauplätzen ab. Auf den hier relevanten Untersuchungsfeldern stellt sich neben der noch laufenden Ursachenforschung nach den Beschäftigungseffekten auch die Frage, warum die Mindestlohneinführung so weitgehend problemlos von statten gehen konnte. Darauf gibt es jenseits des Hinweises auf eine gute konjunkturelle Lage bereits erste Antworten:

 

1) Zu Beginn des Jahres 2015 hatte sich die Niedriglohnbeschäftigung unterhalb des Mindestlohns nur noch auf relativ wenige Betriebe beschränkt.

 

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat im Zuge einer Analyse seines Betriebspanels feststellen können, dass bereits im Jahr 2014 nur noch in zwölf Prozent der Betriebe mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ein oder mehr Mitarbeiter gearbeitet hatten, der/die weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdiente/n.

 

2) Die noch bis Ende 2014 vorgenommenen „regulären“ Lohnanhebungen haben den Kreis der Geringverdiener unterhalb des Niedriglohns schrumpfen lassen.

 

Nach den Daten des besagten IAB-Betriebspanels sollen Anfang 2015 nur noch ganze 4,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland vom Mindestlohn profitiert haben. Das wären erheblich weniger, als in früheren Schätzungen angenommen, die sich allerdings auch auf Daten aus deutlich früheren Erhebungszeitpunkten stützen mussten. Neben den seither eingetretenen Lohnsteigerungen spielen hier auch die vielen Ausnahmeregelungen, durch die zahlreichen Arbeitnehmergruppen der Mindestlohn vorenthalten wird, eine Rolle.

 

3) Viele Betriebe haben bereits im Vorfeld der Mindestlohneinführung reagiert und ihre Gehaltsstrukturen angepasst.

 

Eine aktuelle Studie des IAB hat ergeben, dass im Jahr 2014 auffällig viele Betriebe den Mindestlohn bei Neueinstellungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung quasi vorweg genommen haben. Bei bundesweit 4,5 Prozent der Neueinstellungen im Jahr 2014 hatte der vereinbarte Stundenlohn exakt 8,50 Euro betragen.

 

Einschränkend muss gesagt werden, dass die Erkenntnisse sich auf den Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung beschränken. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs) werden nicht erfasst, wie auch einige Beschäftigtengruppen wie Minderjährige, Auszubildende, Praktikanten und Erntehelfer unberücksichtigt bleiben. Da aber gerade hier Niedriglöhne stark verbreitet sind, muss davon ausgegangen werden, dass insgesamt wohl deutlich mehr Beschäftigte, aber auch mehr Betriebe und von der Einführung des Mindestlohns betroffen gewesen sind, unter ihnen auch Betriebe, die allein Minijobber/innen angestellt haben. Ob sie alle den Übergang problemlos bewältigen konnten, das lässt sich (noch) nicht beantworten. Martialische Schlagzeilen vom Jobkiller bleiben aber weiterhin unangemessen, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

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Quellen:

- Bellmann, L./ Bossler, M. u.a. (2015): IAB-Betriebspanel - Reichweite des Mindestlohns in deutschen Betrieben. IAB Kurzbericht, Nr. 06/2015, Nürnberg.

 

- Kubis, A./ Rebien, M./ Weber, E. (2015): Neueinstellungen im Jahr 2014: Mindestlohn spielt schon im Vorfeld eine Rolle. IAB-Kurzbericht, Nr. 12/2015, Nürnberg.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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