Leiharbeit Zeitarbeit Arbeitnehmerüberlassung

 

LEIHARBEIT:

 

22/03/2018:

Arbeitslose werden weiterhin zu oft in die Leiharbeit gedrückt

(von Markus Krüsemann)

 

Nach auch interner Kritik wollte die Bundesagentur für Arbeit ihre Vermittlungspraxis nachhaltiger gestalten. Geschehen ist wenig, die BA ist ein Umschlagplatz für prekäre Jobs geblieben. Und so wurde auch 2017 fast jede/r dritte Arbeitslose in vergleichsweise schlecht bezahlte und oft nur kurz dauernde Leiharbeitsjobs vermittelt.

 

Rückblick ins Jahr 2013: An der Vermittlungspraxis der Bundesagentur für Arbeit (BA) wird Kritik laut. Sie biete den Arbeitslosen viel zu häufig nur Jobs in der Leiharbeit an. Die Agenturen machten sich die steigende Zahl von Jobofferten aus der Überlassungsbranche dadurch zunutze, dass sie ihre Vermittlungserfolge überdurchschnittlich stark auf die Vermittlung in Leiharbeit begründeten, lautete ein bei taz.de vom 03.01.2013 zu lesender Vorwurf. Statt auf die Qualität der neuen Jobs zu achten, sei die BA in erster Linie um hohe Vermittlungsquoten bemüht.

 

Die Klage hatte Gewicht, denn sie kam aus den eigenen Reihen. Vielleicht auch deshalb sah sich der damalige Chef der Arbeitsagentur, Frank-Jürgen Weise, veranlasst, in die Offensive zu gehen. Gegenüber Welt online räumte er ein, dass es bei der Zusammenarbeit mit der Leiharbeitsbranche „Fehlentwicklungen“ gebe. Und er kündigte an, die Messung des Vermittlungserfolgs abzuändern und dabei den Aspekt der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. In der Folge war eine Mindestdauer des Beschäftigungsverhältnisses von sechs Monaten Voraussetzung dafür, dass die Vermittlung als erfolgreich im Sinne einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt bewertet werden konnte. Wie dehnbar doch der Begriff der Nachhaltigkeit sein kann.

 

Wie sich in den Folgejahren zeigte, hatten Jobangebote aus der Verleihbranche für die ArbeitsvermittlerInnen in den Agenturen und Jobcentern dadurch nicht an Attraktivität verloren. In schöner Regelmäßigkeit gestellte parlamentarische Anfragen der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/GRÜNE ergaben, dass auch in den Jahren 2014 bis 2016 etwa ein Drittel der betreuten Arbeitslosen auf vergleichsweise schlecht bezahlte und oft nur kurz dauernde Leiharbeitsjobs abgeschoben wurden (siehe 10.06.2016 und 26.05.2017).

 

Vermittlungspraxis unverändert

 

Heute, mehr als vier Jahre später, zeigt sich ein unverändertes Bild. Wie anlässlich einer erneuten Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/GRÜNE diese Woche bekannt wurde, lotsen und drängen Agenturen und Jobcenter immer noch fast ein Drittel der von ihnen betreuten Erwerbslosen auf Stellen in der Leiharbeitsbranche. Den in der Antwort präsentierten Zahlen zufolge hat die BA im Jahr 2017 insgesamt 260.000 Arbeitslose in sozialversicherungspflichtige Stellen vermittelt. Fast 85.000 (32,7%) von ihnen nahmen eine Arbeit in Betrieben der Arbeitnehmerüberlassung auf.

 

 Vermittlungen von Arbeitslosen in sozialversicherungspfl. Beschäftigung durch die BA

Vermittlung von Arbeitslosen in Leiharbeit durch die BA, 2013 bis 2017
Quelle: „Bundesagentur für Arbeit - Vermittlung in Leiharbeit“. BT-Drucksache 19/1167 (03/2018).

 

Der Anteil der in Leiharbeit vermittelten Arbeitslosen lag damit auf dem Niveau des Vorjahres. Seit 2013 hat sich dieser Anteil zwar um 2,3 Prozentpunkte, von 35 auf unter 33 Prozent, verringert. Angesichts der damaligen selbstkritischen Ankündigung des Vorstands, die Vermittlung anders auszurichten, ist der Rückgang aber viel zu gering ausgefallen. Zudem korrespondiert er mit den gleichzeitig zu beobachtenden Anteilsrückgängen in der Gruppe der insgesamt aus (registrierter) Arbeitslosigkeit in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechselnden Personen. Hier ging der Anteil derjenigen, die (auch ohne Vermittlung durch die BA) eine Arbeit in der Arbeitnehmerüberlassung aufnahmen, im gleichen Zeitraum um 1,4 Prozentpunkte zurück. Mit anderen Worten: eine echte Revision der Vermittlungspraxis ist weiterhin nicht zu erkennen, Arbeitsagenturen und Jobcenter sind ein Umschlagplatz für miese Jobs geblieben.

 

Ein politisch gefördertes Geschäft mit der Prekarität

 

Problematisch ist die Praxis der BA nicht nur, weil LeiharbeiterInnen (auch bei vergleichbarem Qualifikationsniveau) deutlich weniger verdienen als regulär Beschäftigte und dazu noch meist schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen, sondern auch wegen des hohen Risikos, dass sie nicht lange nach Stellenantritt wieder arbeitslos werden. Ähnlich wie in den vorhergehenden Jahren endete auch im ersten Halbjahr 2017 fast die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse innerhalb der ersten drei Monate. Weitere 23 Prozent dauerten zwischen drei und bis zu neun Monaten. Die Konsequenz: Zwischen November 2016 und Oktober 2017 entfielen 14 Prozent aller Zugänge in Arbeitslosigkeit auf die Arbeitnehmerüberlassung, und das, obwohl die Branche zu der Zeit weniger als drei Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stellte.

 

„Nach wie vor scheinen Verleiher ihren Personalbestand somit möglichst elastisch ihrer Auftragslage anzupassen“, kommentiert die BA das Verhalten der Verleihunternehmen so trocken wie zutreffend. Dieses Verhalten ist vielleicht empörend, aber alles andere als überraschend und aus Unternehmenssicht betriebswirtschaftlich rational. Schließlich würden Beschäftigte, die gerade nicht in Entleihbetrieben arbeiten, den Verleihern als „totes Kapital“ nur auf der Tasche liegen und deren Gewinn schmälern.

 

Aus der Sicht der Lohnarbeitenden sieht das natürlich ganz anders aus. Und zu deren (minimalem) Schutz war so ein Ex-und-hopp-Verhalten lange Zeit nur eingeschränkt möglich. Die gesetzliche Regelung dazu lautete Synchronisationsverbot. Es untersagte die „Gleichschaltung“ des Arbeitsvertrags zwischen Verleiher und ArbeitnehmerIn mit dem Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher. Für die Leiharbeitsbeschäftigten bedeutete dies, dass sie von ihrem Arbeitgeber (Verleihbetrieb) nicht einfach nur für die Dauer eines Einsatzes im Entleihbetrieb angeheuert werden konnten, sondern über einen deutlich darüber hinaus gehenden Zeitraum beschäftigt werden mussten.

 

Nachdem schon ab 1997 die Synchronisation von Ersteinsatz und Arbeitsvertrag zumindest beim erstmaligen Verleih erlaubt war, sorgte die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder dafür, dass das Synchronisationsverbot in der Leiharbeit 2004 komplett entfiel. Damit wurde das unternehmerische Risiko der Verleihbetriebe nahezu vollständig auf die Leihkräfte abgewälzt, was sicherlich mit ein Grund für die bis heute äußerst kleinteilige Struktur der Branche ist: Ende Juni 2017 beschäftigten 76 Prozent aller Verleihbetriebe weniger als zehn LeiharbeitnehmerInnen.

 

Die Überlassungsbranche liebt die BA

 

Die in der Folge boomende Überlassungsbranche weiß die verlässliche Zulieferrolle der Arbeitsagenturen seit langem zu schätzen. Deren Gebaren hat den Boom ja mit angeheizt, schließlich riskieren Arbeitslose empfindliche Sanktionen, wenn sie ein Arbeitsangebot der Arbeitsvermittlung ohne rechtlich akzeptierten Grund ablehnen. Und so ist die Branche nicht nur dankbare Abnehmerin, sondern füttert die Vermittlungsagenturen geradezu mit Jobofferten. Seit Jahren schon liegt der Anteil der Leiharbeitsjobs an den Stellenangeboten der BA satt über 30 Prozent.

 

 Anteil der Leiharbeitsofferten an allen der BA gemeldeten Arbeitsstellen

Anteil der Jobofferten aus der Leiharbeit an allen gemeldeten offenen Stellen, 2013 bis 2017
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete Arbeitsstellen (März 2010 bis Dez. 2017).

 

Im Jahresdurchschnitt 2017 stammten laut O-Ton Arbeitsmarkt von den knapp 731.000 bei den Regionaldirektionen der Bundesagentur gemeldeten offenen Stellen etwa 234.000 aus der Leiharbeitsbranche. Mit einem Anteil von 32 Prozent war damit fast jeder dritte über die BA zu besetzende Arbeitsplatz ein Leiharbeitsverhältnis. Bei den Vollzeitstellen werden einer Meldung von Welt online zufolge sogar Werte von mehr als 40 Prozent erreicht.

 

So betrachtet kann man nur froh sein, dass auf die Vermittlungstätigkeit der BA-Regionaldirektionen nur ein Anteil von gerade mal 13,6 Prozent an allen 2017 registrierten Übergängen aus (gemeldeter) Arbeitslosigkeit in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt entfällt. Von allen Arbeitslosen, die 2017 eine sozialversicherungspflichtige Stelle antraten, landeten nämlich nicht 32,7, sondern „nur“ 18,7 Prozent in der Leiharbeit - die Vermittlungen durch die BA mit eingerechnet. Gäbe es die Arbeitsagentur nicht, man müsste sie erfinden, wird wohl so manche/r leitende Angestellte/r der mittlerweile über 52.000 Verleihbetriebe angesichts solcher Zahlen denken.

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Quellen:

„Bundesagentur für Arbeit - Vermittlung in Leiharbeit“. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 19/1167 (03/2018).

 

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2018): Blickpunkt Arbeitsmarkt – Aktuelle Entwicklungen der Zeitarbeit, Nürnberg, Februar 2018.

 

"Bundesagentur für Arbeit: Jede dritte offene Stelle in der Leiharbeit", O-Ton Arbeitsmarkt vom 06.03.2018.

 

„Fast jede zweite offene Vollzeitstelle in Deutschland ist Job in der Zeitarbeit“, Welt online vom 27.01.2018.

 

Weiterlesen:

 

- Krüsemann, M. (2018): Der Arbeitskräftemissbrauch durch Leiharbeit hat System. Miese-Jobs.de vom 28.02.2018.

 

- Sell, S. (2018): Die angeblich so drangsalierte Leiharbeit boomt vor sich hin, Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 11.03.2018.

 

- „Fast die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse endet in den ersten 3 Monaten“, O-Ton-Arbeitsmarkt vom 26.02.2018.

 

- Krüsemann, M. (2015): Die Bundesagentur für Arbeit und die Leiharbeitsbranche: Zwei wie Pech und Schwefel. Blickpunkt WiSo vom 22.10.2015.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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