Mindestlohn Mindestlöhne Lohnuntergrenze

 

MINDESTLÖHNE:

 

19/03/2015:

Nur zwölf Prozent der Betriebe von Mindestlohn betroffen

(von Markus Krüsemann)

 

 

Was wurden alles für Horrorszenarien im Vorfeld der Mindestlohneinführung an die Wand gemalt (siehe z.B. 04.11.2013 oder 20.03.2014). Nun wird immer deutlicher, dass die negativen Auswirkungen des allgemeinen Mindestlohns doch sehr begrenzt sind und womöglich auch bleiben. Unter den (bisher) nicht eingetretenen Effekten sind auch einige Überraschungen.

 

Überrascht zeigt sich etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dass der Start des Mindestlohns so reibungslos verlaufen ist. Gegenüber Wirtschaftswoche online sagte DIW- Präsident Marcel Fratzscher, man habe bisher keinen negativen Beschäftigungseffekt des Mindestlohns feststellen können. „Kein Zucken der Beschäftigungskurve“, nicht einmal Vorzieheffekte zum Ende des vergangenen Jahres habe es gegeben.

 

Für viele überraschend dürfte auch die Erkenntnis sein, dass sich die Niedriglohnbeschäftigung unterhalb des Mindestlohns auf relativ wenige Betriebe beschränkt hat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat in einer Analyse seines Betriebspanels festgestellt, dass gerade mal zwölf Prozent aller Betriebe mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten überhaupt von der Mindestlohneinführung betroffen waren.

 

Einer Pressemitteilung des IAB zufolge hätte im Jahr 2014 in zwölf Prozent der Betriebe mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mindestens ein Mitarbeiter gearbeitet, der weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdiente. In diesen vom Mindestlohn betroffenen Betrieben habe der Anteil der Beschäftigten, die vor der Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro verdienten, im Durchschnitt bei 45 Prozent gelegen.

 

Betroffenheit variiert zwischen Branchen und Regionen

 

Laut IAB gebe es bei der betrieblichen Betroffenheit neben regionalen vor allem branchenspezifische Differenzen. Regional betrachtet seien in Ostdeutschland mehr Betriebe vom Mindestlohn betroffen als in Westdeutschland. Wie dem diesbezüglichen IAB-Kurzbericht zu entnehmen ist, sind in Sachsen 32 Prozent, in und Thüringen und Sachsen-Anhalt zwischen 25 und 29 Prozent der Betriebe betroffen. In Hamburg, Bremen und den südlichen Bundesländern liegt ihr Anteil dagegen unter zehn Prozent.

 

Noch deutlicher sind die Branchendifferenzen. Am stärksten vom Mindestlohn betroffen sind naturgemäß Betriebe in ausgewiesenen Niedriglohnbranchen wie dem Gastgewerbe (31,9 % der Betriebe), dem Einzelhandel (25,7 %) und der Nahrungs- und Genussmittelbranche (24,8 %).

 

Auch im Hinblick auf die Betroffenheit von Beschäftigten zeigen sich starke regionale und branchenspezifische Unterschiede. Regional zeigt sich erneut ein West-Ost-Gefälle. Innerhalb der vom Mindestlohn betroffenen Betriebe lag das Ausmaß der Beschäftigung unterhalb des Mindestlohns in Brandenburg mit 54 Prozent am höchsten und in Rheinland-Pfalz mit weniger als 36 Prozent am niedrigsten.

 

Nach Branchen gegliedert profitieren vor allem Beschäftigte in den Branchen „Verkehr und Lagerei“, „Nahrungs- und Genussmittel“ sowie „Gastgewerbe“ vom Mindestlohn. In allen drei Branchen lag der Anteil von Beschäftigten mit weniger als 8,50 Euro Bruttostundenlohn bei über 50 Prozent.

 

Profitieren nur 4,4 Prozent der Beschäftigten vom Mindestlohn?

 

Nur auf den ersten Blick überraschend ist der Befund, dass anscheinend sehr viel weniger Beschäftigte in den Genuss einer Anhebung des Stundenlohns auf 8,50 Euro gekommen sind, als in Vorabschätzungen angenommen. Gemäß IAB-Betriebspanel 2014 sind nur 4,4 Prozent der Beschäftigten in Deutschland vom Mindestlohn betroffen. Dieser Anteil liegt wesentlich niedriger als bei früheren Schätzungen, die sich meist auf die Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) stützen (vgl. z.B. 04.03.2014 und 03.07.2014 und zuletzt Brautzsch/Schultz 2015).

 

Die Differenzen sind aber ganz überwiegend durch den Erhebungszeitpunkt (die SOEP-Daten sind meist von 2012) und durch unterschiedliche Erhebungsmethoden erklärbar. So werden etwa beim IAB-Betriebspanel Betriebe, in denen nur Minijobber arbeiten, nicht erfasst. Ebenfalls nicht im Panel berücksichtigt sind minderjährige Beschäftigte, Auszubildende, Praktikanten und Erntehelfer. Gerade unter diesen Erwerbstätigengruppen sind Niedriglöhne aber stark verbreitet. Hinzu kommen die vor Start des gesetzlichen Mindestlohns noch schnell durchgedrückten Ausnahmeregeln, durch die vielen Beschäftigten der Mindestlohn weiter vorenthalten wird (siehe 01.01.2015).

 

Die Erhebungsmethode führt  im Übrigen auch dazu, dass der Grad der betrieblichen Betroffenheit nicht vollständig erfasst wird. Insofern dürfte der Mindestlohn auch in mehr Betrieben Thema sein als in den ausgewiesenen 12 Prozent.

__________________

 

Quellen:

Wirtschaftswoche online vom 18.03.2015

 

IAB-Presseinformation vom 19.03.2015

 

Weiterlesen:

 

- Bellmann, L./ Bossler, M. u.a. (2015): IAB-Betriebspanel - Reichweite des Mindestlohns in deutschen Betrieben. IAB Kurzbericht, Nr. 06/2015, Nürnberg.

 

- Brautzsch, H.-U./ Schultz, B. (2015): Aktuelle Trends: Mindestlohn von 8,50 Euro: Hohe Betroffenheit in arbeitsintensiven Branchen. In: Wirtschaft im Wandel, 21. Jg., Nr. 1, S.3.

__________________________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück