Aufstocker

 

AUFSTOCKER:

 

06/11/2017:

Das langsame Schrumpfen ging Anfang 2017 weiter

(von Markus Krüsemann)

 

Seit einigen Jahren nun schon geht die Zahl der erwerbstätigen EmpfängerInnen von Hartz IV-Leistungen langsam aber recht stetig zurück. Doch gerade bei den Aufstockern mit höheren Erwerbseinkommen und bei den in Vollzeit Beschäftigten tut sich zu wenig. Abhilfe könnte von der Politik kommen.

 

Zu den frustrierendsten Erfahrungen, die Menschen am Arbeitsmarkt machen können, zählt neben der Langzeitarbeitslosigkeit eine Beschäftigung zu haben, die nicht genug Geld abwirft, um damit über die Runden zu kommen. Was MinijobberInnen für sich noch nachvollziehen können, treibt Vollzeitbeschäftigte schon mal zur Verzweiflung. Man rackert sich ab und muss am Ende doch zum Jobcenter, um unterstützende Hartz IV-Leistungen zu beantragen. Da bleibt nicht nur der Stolz, es aus eigener Kraft zu schaffen, auf der Strecke.

 

Die Zahl der heute umgangssprachlich Aufstocker genannten Beschäftigten, die ergänzend zu ihrem Erwerbseinkommen staatliche Transferleistungen benötigen, ist in den ersten Jahren nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) zunächst weiter angestiegen. Nach 2010 setzte dann ein langsamer, aber nahezu stetiger Rückgang ein, der bis heute anhält. Der Schrumpfungsprozess spielt sich allerdings überwiegend in der Gruppe der Erwerbstätigen mit monatlichen Bruttoeinkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit unter 850 Euro ab, darunter vor allem MinijobberInnen. Bei den abhängig Beschäftigten, die mit höheren Monatslöhnen nach Hause gehen, ist die Zahl der Aufstocker in den letzten Jahren sogar wieder gestiegen auf annähernd 330.000 Personen. Auch der seit 2015 geltende allgemeine gesetzliche Mindestlohn konnte hier keinen positiven Effekt auslösen.

 

 Erwerbstätige Arbeitslosengeld II-Bezieher (Jahresdurchschnittswerte)

Entwicklung der Aufstockerzahlen 2007 bis 2016
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Strukturen der Grundsicherung SGB II

 

Bei einem Teil dieser Einkommensgruppe jenseits von Mini- und Midijob dürfte (jeweils in Verbindung mit der individuellen Haushaltskonstellation) der geringe Stundenumfang der Erwerbstätigkeit zur Bedürftigkeit führen. Hinzu kommen allerdings auch Vollzeitbeschäftigte, deren Löhne einfach zu niedrig sind, um die eigene Existenz oder die des gemeinsamen Haushalts zu sichern. Gerade Aufstocker sind von Niedriglöhnen überdurchschnittlich stark betroffen. Einer neueren Analyse zweier Wissenschaftlerinnen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) zufolge haben zwei Drittel aller abhängig beschäftigten Aufstocker in den vergangen Jahren zu Niedriglöhnen gearbeitet. Bei den Beschäftigten ohne Leistungsbezug lag der Anteil hingegen nur bei knapp 18 Prozent.

 

Die aktuelle Entwicklung

 

Nach den letzte Woche von der Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlichten aktuellen Zahlen der Statistik zu den Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende belief sich die Zahl der Personen, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen aufstockende Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhielten, um ihre Existenz zu sichern, zur Jahresmitte 2017 auf 1,162 Millionen. Davon waren 1,076 Millionen abhängig erwerbstätig, der Rest, knapp 95.000, hat als Selbständige/r zu wenig Einkommen erzielt. Im Vergleich zu den Juniwerten des Vorjahres bedeutet das ein Minus von 2,1 Prozent bei den Gesamtzahlen und ein Minus von 1,2 Prozent innerhalb der Gruppe der abhängig Erwerbstätigen.

 

Nach Erwerbstätigkeit differenzierte Zahlen liegen bis Ende März 2017 vor. Sie zeigen, dass sich die Rückgänge nicht mehr über alle Beschäftigungssegmente erstrecken. In der Gruppe der geringfügig Beschäftigten sank die Zahl der Aufstocker auf 487.000 Personen, ein weiteres sattes Minus von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. In der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich dagegen die schon zum Jahresende 2016 beobachtbare gegenläufige Entwicklung (siehe 03.08.2017) fortgesetzt.

 

 Entwicklung der Aufstockerzahlen seit 2011 (Quartalswerte)

Entwicklung der Aufstockerzahlen seit 2011
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende

 

Ende März 2017 weist die BA-Statistik gut 577.000 Personen aus, die neben ihrem Teilzeit- oder Vollzeitjob ergänzende Hartz IV-Leistungen bezogen haben. Im Vergleich zum Vorjahresquartal stieg ihre Zahl um knapp 13.000, ein Plus von immerhin 2,3 Prozent, zugleich ein neuer Höchstwert für den Monat März. Was die obige Grafik nicht zeigt: Der Zuwachs geht fast ausschließlich auf die Gruppe der sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigten LeistungsbezieherInnen zurück. Ihre Zahl stieg binnen eines Jahres von knapp 180.000 auf annähernd 192.000 Personen, ein Plus von 6,7 Prozent. Bei den Teilzeitbeschäftigten lag der Wert dagegen nahezu unverändert bei etwa 385.000 Personen.

 

Löhne rauf, Wohn- und Kindergeld erhöhen

 

Da es neben dem geringen Umfang der Erwerbstätigkeit insbesondere die Niedriglöhne sind, die Erwerbstätige vor allem dann zu Aufstockern machen, wenn sie nicht nur sich selbst, sondern auch eine/n Partner/in und/oder Kinder zu versorgen haben, wäre die von der Linkspartei schon seit langem und plötzlich auch von SPD-Vize Olaf Scholz geforderte Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro ein Schritt in die richtige Richtung. Alternativ würde auch die Erhöhungung des Kindergelds und des Wohngelds viele Bedürftige aus dem Leistungsbezug nehmen können. Von einer sich abzeichnenden Jamaikakoalition ist eine entschiedene sozialstaatliche Umverteilung zu Gunsten von Bedürftigen aber nicht zu erwarten und so werden die Aufstockerzahlen im positivsten Fall auch in den nächsten Jahren nur sehr langsam sinken - es sei denn die Gewerkschaften gewinnen dermaßen an Verhandlungsmacht zurück, dass sie (gestützt von einer weiterhin guten Konjunktur) deutlich höhere Tariflöhne auch in den unteren Lohngruppen durchsetzen können. Doch auch das ist wohl nicht zu erwarten.

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Quellen:

Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Strukturen der Grundsicherung SGB II (Zeitreihe Monats- und Jahreszahlen ab 2005), Juli 2017, Nürnberg.

 

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2017): Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Oktober 2017, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Achatz, J./ Gundert, S. (2017): Arbeitsqualität und Jobsuche von erwerbstätigten Grundsicherungsbeziehern. IAB-Forschungsbericht, Nr. 10/2017, Nürnberg.

 

- Dietz, M./ Müller, G./ Trappmann, M. (2009): Bedarfsgemeinschaften im SGB II: Warum Aufstocker trotz Arbeit bedürftig bleiben. IAB-Kurzbericht, Nr. 02/2009, Nürnberg.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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