Aufstocker

 

AUFSTOCKER:

 

03/08/2017:

Erneut weniger abhängig erwerbstätige Aufstocker

(von Markus Krüsemann)

 

Der Trend zurückgehender Zahlen bei den erwerbstätigen Empfängern von Hartz IV-Leistungen ist weiterhin ungebrochen, auch wenn der Schrumpfungsprozess zu erlahmen scheint. Allerdings gab es in der zweiten Jahreshälfte 2016 überraschende, ja merkwürdige Verschiebungen im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

 

Auch wenn ihre Zahl stetig schrumpft, es gibt immer noch weit über 1,1 Mio. Erwerbstätige in Deutschland, deren Einkommen aus abhängiger oder selbstständiger Arbeit so niedrig ist, dass sie ergänzende Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhalten, um über die Runden zu kommen. Nach den aktuellen Zahlen der Statistik zu den Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende der Bundesagentur für Arbeit (BA) lag allein die Zahl der abhängig erwerbstätigen LeistungsbezieherInnen, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Aufstocker genannt, Ende März 2017 bei 1,064 Millionen Immerhin: das sind knapp 21.000 Menschen weniger als im Vorjahresmonat, ein Minus von 1,9 Prozent. Damit schrumpfte auch ihr Anteil an allen LeistungsbezieherInnen binnen eines Jahres von 25,1 auf 24 Prozent. Ein Teil des Rückgangs erklärt sich allerdings auch aus der weniger freundlichen Tatsache, dass die Gesamtzahl der BezieherInnen von Hartz IV-Leistungen im gleichen Zeitraum angestiegen ist, ein Trend der bereits im September 2016 eingesetzt hat.

 

Der Trend zu immer weniger abhängig erwerbstätigen Hartz IV-LeistungsempfängerInnen setzte bereits im Jahr 2010 ein, gewann aber erst 2014 erkennbar an Fahrt. Seitdem liegen die Monatszahlen Jahr für Jahr jeweils deutlich unter den Vorjahreswerten. Die stärksten Rückgänge hat die BA dabei für das Jahr 2015 ausgewiesen. Vermutlich besteht hier ein Zusammenhang mit dem zum Jahresanfang eingeführten gesetzlichen Mindestlohn, dessen Wirkung man aber nicht überschätzen sollte, denn die damals 8,50 Euro Mindeststundenlohn waren auch bei einem Vollzeitjob nur selten allein existenzsichernd (vgl. 03.05.2016).

 

 Abhängig erwerbstätige Aufstocker Januar 2014 bis März 2017

Abhängig erwerbstätige Aufstocker Januar 2014 bis März 2017
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende

 

Obige Grafik lässt neben der positiven Entwicklung aber auch erkennen, dass sich die Rückgänge des Jahres 2015 nicht mehr in gleicher Intensität fortgesetzt haben. War die Zahl der abhängig erwerbstätigen Aufstocker 2015 im Jahresdurchschnitt noch um fast 56.000 gefallen, so lag das Minus 2016 „nur noch“ bei durchschnittlich weniger als 29.000 Personen. In den ersten drei Monaten des Jahres 2017 verzeichnete die BA im Durchschnitt unter 22.000 Aufstocker weniger als im ersten Quartal 2016. Das deutet darauf hin, dass der Schrumpfungsprozess in absehbarer Zeit zum Erliegen kommen könnte.

 

Die jetzt bis Ende 2016 vorliegenden nach Art der Erwerbstätigkeit ausdifferenzierten Zahlen der BA zeigen, warum der Rückgang zuletzt immer stärker nachließ. Während die Gruppe der geringfügig beschäftigten Aufstocker auch im Jahr 2016 weiter schrumpfte (mittlerweile wurde 500.000er Marke unterschritten), hat es in der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Rückgängen im ersten Halbjahr 2016 wieder Zuwächse gegeben. Zum Jahresende 2016 war ihre Zahl von 580.000 (Dez. 2015) auf 585.000 angestiegen. Das eigentlich kaum nennenswerte Plus von 0,9 Prozent hat immerhin zum höchsten Dezemberwert seit mindestens 2008 gereicht.

 

 Entwicklung der Aufstockerzahlen 2008 bis 2016

Entwicklung der Aufstockerzahlen 2008 bis 2016
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende

 

Innerhalb der Gruppe kam es im Verlauf des Jahres 2016 zu einer interessanten Verschiebung, die man als neues Phänomen bezeichnen kann. Seit Jahren war die Entwicklung der Aufstockerzahlen durch eine gegenläufige Entwicklung gekennzeichnet: Rückgängen bei den geringfügig beschäftigten wie auch den vollzeitbeschäftigten Hartz IV-Beziehern stand ein weiteres Anwachsen der Zahl der teilzeitbeschäftigten Aufstocker gegenüber, welches die Rückgänge in den anderen Erwerbstätigengruppen aber nie ausgleichen konnte. Seit etwa der Jahresmitte 2016 hat sich dieses Muster gewandelt.

 

Merkwürdige Verschiebungen zwischen den Erwerbstätigengruppen

 

Bei den in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit erwerbstätigen Aufstockern kam das Wachstum zum Erliegen. In den Monaten Oktober bis Dezember ging ihre Zahl erstmals seit einem langen Zeitraum sogar wieder zurück. Wie folgende Grafik zeigt, ist die Entwicklung in der Gruppe der Vollzeiterwerbstätigen noch interessanter.

 

 Vollzeitbeschäftigte Aufstocker 2014 bis 2016

Aufstocker in Vollzeit 2014-16
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende

 

Nach zahlreichen Quartalen mit stetigen Rückgängen stieg die Zahl der aufstockenden Vollzeitkräfte ab August 2016 ebenso unvermittelt wie deutlich wieder an. Im letzten Quartal 2016 überstiegen sie dann erstmals auch die Werte aus den jeweiligen Vergleichsmonaten des Vorjahres. Ende Dezember 2015 gab es schon wieder über 197.000 Aufstocker mit Vollzeitbeschäftigung, 3,5 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Beide Entwicklungen zusammengenommen haben am Ende zu dem oben erwähnten Plus an sozialversicherungspflichtig beschäftigten Aufstockern geführt.

 

Gründe für die Veränderungen unklar

 

Während der Rückgang bei den Aufstockern mit Minijob im Rahmen geblieben ist und keiner weiteren oder zusätzlichen Erklärung bedarf, sind die Gründe für die überraschende Verschiebung im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unklar. Ein bloßer Statuswechsel (von Teil- auf Vollzeitarbeit) kommt als Grund nicht in Betracht, denn die Zahl der vollzeitbeschäftigten Bezieher von Arbeitslosengeld II ist um ein Vielfaches stärker gestiegen als die Zahl der Teilzeiterwerbstätigen geschrumpft ist. Auch die in der BA-Statistik vorhandenen Überschneidungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Erwerbstätigen dürften keine Rolle spielen. Zudem gab es zwar in den vergangen Jahren immer wieder Revisionen der Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, doch seit der rückwirkend bis August 2014 bereits vollzogenen veränderten Abgrenzung von Personengruppen haben alle weiteren Revisionen das Messkonzept in dieser Hinsicht unbeeinflusst gelassen.

 

Bliebe noch die hier nicht beantwortbare Frage, ob sich die nach einem Datenverarbeitungsfehler vorgenommene Korrektur der Daten der Beschäftigungsstatistik auf die Aufstockerzahlen ausgewirkt hat. Für das zweite Halbjahr 2016 hat die Bundesagentur für Arbeit die Zahl der insgesamt sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jedenfalls deutlich nach oben korrigieren müssen. In Bezug auf die Grundsicherungsstatistik spricht die BA in ihrem aktuellen Bericht allerdings nur von "einer geringfügigen Unterzeichnung der Ergebnisse zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung".

_________________

 

Quellen:

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2017): Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Juli 2017, Nürnberg.

 

„Hartz IV trotz Arbeit: Mehr als jeder vierte Hartz-IV-Empfänger erwerbstätig“, O-Ton-Arbeitsmarkt.de vom 02.06.2017.

 

Bundesagentur für Arbeit (Hg.) (2015): Erwerbstätige Arbeitslosengeld II-Bezieher: Anpassung bei Messung und Datenquelle, Mai 2015, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- „Die Aufstocker - Trotz Arbeit Hartz IV“, Bericht zur MDR-Reportage vom 23.03.2017.

 

- Bundesagentur für Arbeit (2017): Blickpunkt Arbeitsmarkt - Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen, Juni 2017, Nürnberg.

_______________________________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück