prekäre und atypische Beschäftigung

 

ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG:

 

06/10/2015:

Atypische Beschäftigung im Saarland und in Rheinland-Pfalz – trotz unterschiedlicher Ausprägung ähnlich hohe Anteile

(von Markus Krüsemann)

 

 

Das Saarland und Rheinland-Pfalz sind in vielerlei Hinsicht zwei ganz unterschiedliche Bundesländer. Zumindest eins aber haben sie gemeinsam: die hohen Anteile atypisch Beschäftigter. Nach Angaben aus der Datenbank „Atypische Beschäftigung“  des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten im Jahr 2014 im Saarland 39,3 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit und Minijobs (ausschließlich). In Rheinland-Pfalz waren es sogar 41,8 Prozent.

 

Im Saarland ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in den Jahren 2000 bis 2012 um fast 14 Prozent gesunken, während die atypischen Beschäftigungsverhältnisse stark zugenommen haben (siehe 15.01.2014). Damit lag das Saarland wie dann in den Folgejahren im westdeutschen Trend, auch wenn die Ausbreitung von Jobs jenseits der Normalarbeit laut einer Regionalstudie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2014 zuletzt leicht unter dem Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer verblieb (siehe 26.05.2014).

 

Auch in Rheinland-Pfalz liegt der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse schon seit Jahren auf hohem Niveau (siehe 30.06.2014). Nach Berechnungen auf der Basis des Mikrozensus fiel der Anteil der sozialversicherungspflichtig in Vollzeit (ab 21 Stunden!) Beschäftigten an allen Kernerwerbstätigen (Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64 Jahren, nicht in Bildung oder Ausbildung oder in einem Wehr-, Zivil- sowie Freiwilligendienst) im Jahr 2000 erstmals unter die 70-Prozent-Marke. Nachdem der Anteil bis 2008 fast kontinuierlich auf 64,2 Prozent gesunken war, lag er zuletzt (2013) bei 66,9 Prozent

 

Abweichungen zwischen den Ländern:

 

Innerhalb der Gruppe der atypisch Beschäftigten lassen sich länderspezifische Unterschiede erkennen. Betrachtet man zunächst die Befunde aus dem Mikrozensus, so zeigen sich vor allem bei der befristeten und der Teilzeitbeschäftigung deutliche Abweichungen. In Rheinland-Pfalz etwa weicht der Anteil der befristet Beschäftigten leicht vom westdeutschen Durchschnitt nach unten, im Saarland dagegen nach oben ab. Und während die Teilzeitarbeit in beiden Ländern überdurchschnittlich stark verbreitet ist, hat das Saarland zudem noch einen auffällig hohen Anteil an Personen in Minijobs vorzuweisen.

 

 Anteile atypisch Beschäftigter an allen abhängig Beschäftigten (Kernerwerbs-
 tätige ohne mithelfende Familienangehörige) 2013 (in Prozent)

Anteile atypisch Beschäftigter
Quelle: Mikrozensus laut BT-Drucksache 18/4638

 

Eine kürzlich vom IAB veröffentlichte empirische Analyse der Bedeutung und der Strukturmerkmale atypischer Beschäftigungsformen in den beiden Ländern fördert noch weitere Unterschiede zu Tage, die aufgrund anderer Berechnungsgrundlagen allerdings teils deutlich von den Ergebnissen des Mikrozensus abweichen.

 

Danach zeigt sich zunächst, dass die ausschließlich ausgeübte geringfügige Beschäftigung in beiden Ländern stärker verbreitet ist als im westdeutschen Durchschnitt. Anders sieht es bei der Leiharbeit aus. Sie spielt in Rheinland-Pfalz eine untergeordnete Rolle, im Saarland hingegen ist sie überdurchschnittlich stark verbreitet. Umgekehrt verhält es sich bei der Teilzeitarbeit.

 

 Anteile atypisch Beschäftigter an allen sozialversicherungspflichtig und ausschließl.
 geringfügig Beschäftigten (inkl. Auszubildende) 2014 (in Prozent)

Anteile atypisch Beschäftigter
Quelle: Otto/Stabler 2015

 

Mögliche Erklärungen für die Unterschiede:

 

Die Verfasser der IAB-Studie weisen darauf hin, dass unterschiedliche Ursachen für die ungleiche Verbreitung der einzelnen atypischen Erwerbsformen in Betracht kommen. Von Bedeutung ist hier zunächst der unterschiedliche Branchenmix der rheinland-pfälzischen und saarländischen Wirtschaft.

 

In Rheinland-Pfalz etwa ist die Teilzeitbeschäftigung nach Aussage der Autoren besonders stark verbreitet, weil sich ausgewählte Dienstleistungsbereiche auf diese Beschäftigungsform spezialisiert haben. Im Saarland mit seiner ausgeprägten exportorientierten industriellen Basis könnte dagegen die Leiharbeitsquote deshalb erheblich höher ausfallen, weil viele für den Weltmarkt produzierende Betriebe einen möglichst flexiblen Personalbestand bevorzugen.

 

Für eine umfassende Klärung der Unterschiede müssten allerdings noch weitere Faktoren, wie die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Ausstattung mit Plätzen für die Kinderbetreuung oder die Siedlungsstruktur in Betracht gezogen werden.

 

Fazit:

 

Trotz der unterschiedlichen Ausprägung einzelner atypischer Beschäftigungsformen weisen beide Länder im Vergleich zum westdeutschen Referenzwert überdurchschnittlich viele Beschäftigte auf, die in Teilzeit arbeiten oder nur einem Minijob nachgehen. Weder die unterschiedliche Wirtschaftskraft, noch die abweichenden Wirtschafts- und Branchenstrukturen können somit als Erklärungsfaktor für das Ausmaß atypischer Beschäftigung in verschiedenen Bundesländern herangezogen werden. Sie erklären allenfalls die abweichende Bedeutung einzelner Beschäftigungsformen.

 

Die Ausbreitung atypischer Beschäftigung ist im Wesentlichen ein Resultat der Ausgestaltung von institutionellen Rahmenbedingungen. Im konkreten Fall sind vor allem die Hartz-Arbeitsmarktreformen für die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses verantwortlich zu machen.

 

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Quellen:

WSI – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut: Regionale Datenbank „Atypische Beschäftigung“

 

Die Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses in den einzelnen Bundesländern. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucksache 18/4638 (April 2015).

 

Otto, A./ Stabler, J. (2015): Qualität der Beschäftigung in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. IAB-Regional Rheinland-Pfalz Saarland, Nr. 4, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Agossa, M. T./ Ludewig, O. u.a. (2014): Arbeitsplatzdynamik in Rheinland-Pfalz. IAB-Regional, Nr. 01/2014, Nürnberg.

 

- Arbeitskammer des Saarlandes (2013): AK Fakten: Einkommen im Saarland 2013.

 

- IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hg.) (2014): Qualität der Beschäftigung – Beratungsunterlage aus dem Regionalen Forschungsnetz Rheinland-Pfalz-Saarland, Nürnberg.

 

- Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (Hg.) (2014): Atypische Beschäftigung - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, Bad Ems.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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