befristete Beschäftigung

 

BEFRISTUNG:

 

06/09/2017:

Das Befristungsunwesen weitet sich aus

(von Markus Krüsemann)

 

Noch im vorletzten Jahr sah es so aus, als könnte der Befristungswahn seinen Zenit überschritten haben. Die Zahlen für das Jahr 2016 dagegen zeigen kein verändertes Einstellungsverhalten bei den Unternehmen. Ob mit oder ohne Sachgrund, Jobs auf Zeit sind wieder auf dem Vormarsch. Vor allem junge Beschäftigte bringt das in eine schwierige Lage.

 

Als zu Beginn der 1980er Jahre die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik Deutschland in beunruhigende Höhen schnellte, hatte der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) eine ganz spezielle Idee zu ihrer Absenkung. Im (vorgetäuschten?) Glauben daran, dass Arbeitslosigkeit auch steige, weil die Hürden für den Jobeinstieg zu hoch seien, zielte er auf eine Erleichterung von Neueinstellung durch Absenkung des Arbeitsschutzes von Beschäftigten. Seine Beschäftigungsförderung per Gesetz sah dazu eine Ausweitung der befristeten Arbeitsmöglichkeiten vor. War die Beschäftigung auf Zeit (Probezeiten ausgenommen) zuvor nur bei Vorliegen bestimmter sachlicher Gründe (etwa die Krankheitsvertretung) erlaubt, so konnten Arbeitgeber ab 1985 erstmals auch Stellen ohne Sachgrund befristen. Lieber befristet arbeiten als unbefristet arbeitslos zu sein, lautete Blüms griffige Formel für eine allenfalls Halbwahrheit.

 

Zwar durften zunächst nur Arbeitslose bis zu einem Jahr ohne Sachgrund befristet angestellt werden, doch im Laufe der Zeit wurden die Möglichkeiten zur Befristung ausgeweitet, obwohl die positive Wirkung dieser Maßnahme nie belegt werden konnte. Und so kam es wie es kommen musste: Die Zahl der mit und ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverhältnisse hatte sich bis 1996 auf 1,3 Millionen erhöht und in den folgenden zwanzig Jahren „mehr als verdoppelt“. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hatten im Jahr 2015 schon 3,2 Mio. Menschen nur einen befristeten Arbeitsvertrag in der Tasche, das waren 9,3 Prozent aller abhängig Beschäftigten (ohne Auszubildende). Kein Wunder, denn bei 42 Prozent aller Neueinstellungen haben Arbeitgeber nur noch einen Job auf Zeit vergeben.

 

Befristungen waren 2016 weiter auf dem Vormarsch

 

Nach aktueller Gesetzeslage sind Befristungen ohne Angabe von Sachgründen für die Dauer von zwei Jahren (bei neu gegründeten Unternehmen bis zu vier, bei bestimmten ArbeitnehmerInnen bis zu fünf Jahre) möglich. Anders bei den Befristungen mit Sachgrund. Wird einer der in § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) aufgeführten Sachgründe genannt, entfällt die Begrenzungsregel. Solche Befristungen sind praktisch unbegrenzt verlängerbar, solange sich immer wieder ein neuer Sachgrund finden lässt (Kettenbefristungen).

 

Natürlich gibt es Gründe, die eine befristete Einstellung von Beschäftigten gerechtfertigt erscheinen lassen. Vertretungen von zeitweise aufgrund von Schwangerschaft, Elternzeit oder Krankheit nicht verfügbaren Stammbeschäftigten etwa zählen dazu. Doch die Liste weiterer zulässiger Sachgründe ist so lang, wie ihre Anwendung dehnbar ist. Damit wird der Befristungspraxis das Tor weiterhin großzügig offengehalten, und das wird weidlich genutzt.

 

Wie aktuelle Zahlen für das Jahr 2016 belegen, schreitet das Befristungsunwesen weiter voran. Vermutungen, dass der Befristungswahn seinen Zenit bereits überschritten haben könnte (siehe 06.08.2015), haben sich damit als haltlos erwiesen. Einem heute veröffentlichten Artikel von RP online zufolge hatten rund 45 Prozent aller 2016 neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nur einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten. Ein Jahr zuvor lag ihr Anteil noch bei 41 Prozent. Das Portal beruft sich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Aus ihr gehe auch hervor, dass der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung binnen eines Jahres von 7,7 auf 7,8 Prozent gestiegen ist.

 

Die Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes kommt auf Basis einer anderen Berechnung zu höheren Anteilswerten. Allerdings wird hier nur die Gruppe der abhängig Beschäftigten ab einem Alter von 25 Jahren erfasst. Der Anteil der ArbeitnehmerInnen mit Zeitvertrag lag hier im Jahr 2016 bei 8,5 Prozent, eine Zunahmen um 0,1 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.

 

Anteil der abhängig Beschäftigten ab 25 J. mit befristetem Arbeitsvertrag (in Prozent)

Entwicklung des Anteils abhängig Beschäftigter mit Befristung
Quelle: Arbeitskräfteerhebung des Statist. Bundesamts

 

Junge Beschäftigte besonders betroffen

 

Wie obige Grafik zeigt, sind junge Beschäftigte besonders häufig von Befristungen betroffen. Bei den 25 bis 34 Jahre alten abhängig Beschäftigten stieg der Anteil in den letzten zwei Jahren deutlich von 17,3 auf 18,1 Prozent. Die von RP online angeführten Zahlen aus anderer Quelle belegen auch einen kräftigen Anstieg der Befristungen bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 30 und 39 Jahren. 2015 waren noch 38 Prozent von ihnen befristet angestellt, 2016 lag ihr Anteil bereits bei 49 Prozent.

 

Für die jüngeren Beschäftigten ist die Situation deswegen besonders problematisch, weil sie sich in der Berufseinstiegs- und Familiengründungsphase befinden, in der Planungsunsicherheiten und Existenzsorgen gravierende Auswirkungen auf das Privatleben haben. Durch Befristungen hervorgerufene häufige Stellenwechsel, die teils auch mit Ortswechseln verbunden sind, erschweren die Bildung einer stabilen Partnerschaft, während die wirtschaftliche Planungsunsicherheit mit dem Wunsch nach Kindern kollidiert. Wie der Sozialexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Dr. Eric Seils, anhand von Daten des Mikrozensus 2015 herausfand, sind nur nur 17,4 Prozent der befristet Beschäftigten im Alter von 20 bis 34 Jahren verheiratet. In der Vergleichsgruppe der unbefristet Beschäftigten liegt der Anteil bei 27,7 Prozent (vgl. 08.12.2016). Doch die Nachteile reichen noch viel weiter. Befristet Beschäftigte berichten zum Beispiel von enormen Schwierigkeiten, wenn sie einen Mietvertrag abschließen oder einen Kredit aufnehmen wollen.

 

Vorteile liegen fast alle auf Arbeitgeberseite

 

Die Einstellung auf Zeit hat längst System, denn für die Unternehmen ist das eine ungemein bequeme Sache. Sie brauchen sich nicht mal Sachgründe ausdenken, um das Instrument Zeitvertrag als verlängerte Probezeit zu nutzen. Damit wälzen sie natürlich auch alle mit dem Eingehen eines Beschäftigungsverhältnisses verbundenen Risiken auf die ArbeitnehmerInnen ab. Was das Ganze zusätzlich interessant macht: Sobald sie den Neuen nur ein wenig Hoffnung auf Weiterbeschäftigung vermitteln, bekommen sie besonders motivierte und fleißige MitarbeiterInnen, die sich bewähren und für eine dauerhafte Übernahme empfehlen wollen. Es liegt auf der Hand, dass Beschäftigte auf dem Schleudersitz sich auch bei der Wahrnehmung ihrer ArbeitnehmerInnenrechte lieber zurückhalten, sich insgesamt „konformer“ verhalten, um es vorsichtig auszudrücken.

 

Weniger bekannt ist, dass Arbeitgeber damit auch bei den Lohnkosten sparen. Befristet Beschäftigte verdienen im Schnitt weniger als ihre unbefristet tätigen KollegInnen. Eric Seils kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass fast 23 Prozent aller befristet Beschäftigten, aber weniger als sieben Prozent der unbefristet Beschäftigten mit einem persönlichen Nettoeinkommen von weniger als 1.100 Euro auskommen mussten. Darüber hinaus sind sie deutlich stärker armutsgefährdet.

 

Sachgrundlose Befristung abschaffen

 

Um die Befristungspraxis der Unternehmen wieder auf ein vernünftiges Maß zurückzuschrauben, müsste in einem ersten Schritt endlich die seit 1985 bestehende Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung kassiert werden. Die Linkspartei, Grüne und die SPD sprechen sich dafür aus, doch die Widerstände (nicht nur bei den Christdemokraten) sind erstaunlich groß, und angesichts der Prognosen für die anstehende Bundestagswahl ist nicht damit zurechnen, dass es in der nächsten Legislaturperiode zu einer sinnvollen Reform des Teilzeit- und Befristungsgesetzes kommen wird.

 

Auf Länderebene wurden zumindest ein paar Zeichen gesetzt. So hatte der Hamburger Senat im April für seine Behörden, Ämter und Landesbetriebe beschlossen, dass Befristungen überall dort, wo kein vernünftiger Grund dafür vorliegt, abzuschaffen sind. Kurze Zeit später verkündete auch der Berliner Senat, in den öffentlichen Verwaltungen und Landesunternehmen sollen künftig nur noch befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden, für deren Befristung ein sachlicher Grund vorliegt. Und im August folgte das Kabinett des Landes Rheinland-Pfalz dem Beispiel der Stadtstaaten. Auch dort sollen Behörden sachgrundlose Befristungen künftig weitgehend vermeiden. Das ist sicher weitaus mehr als nur Symbolpolitik, am Ende aber doch nur der Tropfen auf dem heißen Stein.

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Quellen:

„Jeder Zweite wird nur befristet eingestellt“, RP online vom 06.09.2017

 

DGB Bundesvorstand (Hg.) (2017): Sachgrundlose Befristungen – ein Massenphänomen, Berlin.

 

„Elend ohne Befristung“, der Freitag online, Nr. 26/2017

 

Seils, E. (2016): Jugend und befristete Beschäftigung. WSI Policy Brief, Nr. 8, Dezember 2016, Düsseldorf.

 

Weiterlesen:

 

- „Aktuelle Daten zu befristeter Beschäftigung.“ Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. BT-Drucksache 18/11981 (04.2017).

 

- Stuth, S. (2017): Zusammenhänge zwischen Beruf und befristeter Beschäftigung. In: WISTA – Wirtschaft und Statistik, Nr. 1, S. 110-122.

 

- Lisi, D./ Malo, M. A. (2017): The impact of temporary employment on productivity. The importance of sectors' skill intensity. In: Journal for Labour Market Research, online first.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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