Mindestlohn Lohnuntergrenze

 

MINDESTLÖHNE:

 

06/04/2016:

Vier Millionen Beschäftigte konnten sich im April 2014

auf den Mindestlohn freuen

(von Markus Krüsemann)

 

Wie viele Beschäftigte haben tatsächlich von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns Anfang Januar 2015 profitiert? Neue Zahlen vom April 2014 zeigen: Von insgesamt 5,5 Millionen mit Stundenlöhnen von unter 8,50 Euro konnten sich etwa vier Millionen auf eine Lohnanhebung auf Mindestlohnniveau freuen.

 

So richtig genau konnte bislang niemand sagen, wie viele Menschen Ende 2014 so wenig verdient hatten, dass sie vom Anfang Januar eingeführten gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Stunde (brutto) profitiert haben. Erste Schätzungen gab es schon recht früh. So ging etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Sommer 2014 davon aus, dass die Zahl der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer/innen „weit unter fünf Millionen“ (Brenke 2014) liegen dürfte. Die Datengrundlage dafür stammte allerdings aus dem Jahr 2012.

 

Arbeitsministerin Andrea Nahles äußerte zur Mindestlohneinführung Anfang 2015 die Erwartung, dass in etwa 3,7 Millionen Beschäftigte mehr Geld erhalten würden. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen kam im August 2015 indes zu höheren Zahlen. Demnach hatten im Jahr 2013 gut 6,3 Millionen Beschäftigte zu Löhnen unterhalb der Mindestlohngrenze gearbeitet (Kalina/Weinkopf 2015).

 

Kreis der Anspruchsberechtigten schrumpfte 2014

 

Dass die Zahl der vom Mindestlohn Begünstigten Anfang Januar 2015 deutlich kleiner ausfallen würde, war aber auch klar. Denn zum einen haben die noch bis Ende 2014 vorgenommenen „regulären“ Lohnanhebungen den Kreis der Geringverdiener unterhalb des Mindestlohns schrumpfen lassen. Zum anderen sorgte eine Reihe von Ausnahmen im Gesetz dafür, dass nicht alle Geringverdiener unter 8,50 Euro in den Genuss der neuen Lohnuntergrenze kommen sollten (siehe 01.01.2015).

 

Im März 2015 kam das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) anhand einer Befragung im Rahmen des IAB-Betriebspanels 2014 daher unter Berücksichtigung der Mindestlohn-Ausnahmeregelungen zu dem Ergebnis, dass wohl nur 4,4 Prozent der Beschäftigten in Deutschland vom Mindestlohn profitieren konnten. Der Anteil lag wesentlich niedriger als bei anderen, früheren Schätzungen, die sich meist auf die Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) stützten (vgl. z.B. 04.03.2014 und 03.07.2014 und Brautzsch/Schultz 2015).

 

Betriebe, die ausschließlich Minijobber beschäftigen, sind hier allerdings nicht berücksichtigt, weshalb auch diese Zahlen nicht wirklich weiterhelfen. Sie fallen zu niedrig aus, weil gerade die Gruppe der geringfügig Beschäftigten 2014 noch sehr häufig für Niedriglöhne unterhalb des Mindestlohns gearbeitet hat. So wird auch exemplarisch deutlich, dass ein Vergleich der hier erwähnten Studien vor allem wegen unterschiedlicher methodischer Ansätze und beim Forschungsdesign nicht sinnvoll ist.

 

5,5 Millionen Beschäftigte verdienten im April 2014 weniger als 8,50 Euro

 

Mit den jetzt vom Statistischen Bundesamt vorgelegten ersten Zahlen aus der Verdienststrukturerhebung 2014 sind die früheren Schätzungen und Berechnungen zwar nicht obsolet, aber wegen des günstigen Erhebungszeitpunktes (April 2014) und aufgrund des erweiterten methodischen Zugriffs dürften die Ergebnisse den tatsächlichen Lohnsprüngen zum Januar 2015 ziemlich nahe kommen.

 

Wie das Statistische Bundesamt in einer Pressemeldung heute bekannt gab, liegen erste Zahlen aus der neuesten Verdienststrukturerhebung vor, die Auskunft über die Arbeitnehmerverdienste im April 2014 geben. Zu diesem Zeitpunkt, also relativ kurz vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes, gab es in Deutschland insgesamt 5,5 Millionen Beschäftigte, deren Verdienste weniger als 8,50 Euro/Std. (brutto) betrugen und damit unterhalb der ab Januar 2015 verpflichtenden Lohnuntergrenze lagen. 1,5 Millionen von ihnen würde 2015 der Mindestlohn aufgrund der gesetzlichen Ausnahmeregelungen weiterhin vorenthalten, sodass schließlich 4,0 Millionen Beschäftigte für eine Lohnanhebung auf 8,50 Euro je Arbeitsstunde (brutto) in Frage kamen. Das sind immerhin 10,7 Prozent aller damaligen Beschäftigungsverhältnisse gewesen.

 

Erwartungsgemäß haben die Erwerbstätigen in West- und Ostdeutschland unterschiedlich von der Lohnuntergrenze profitieren können. Mit 1,1 Millionen entfiel auf Ostdeutschland gut ein Viertel der „geschützten gering bezahlten Jobs“, wie das Bundesamt sie nennt. Das entspricht 22,0 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in Ostdeutschland. In Westdeutschland waren 2,9 Millionen Beschäftigte betroffen, was einem Anteil von 8,9 Prozent an allen westdeutschen Beschäftigungsverhältnissen betrifft.

 

Gegliedert nach Beschäftigungsformen zeigen die neuen Zahlen einmal mehr die schlechte Verdienstsituation von geringfügig Beschäftigten. Mit 2,2 Millionen waren mehr als die Hälfte der Mindestlohnprofiteure Minijobber/innen. Bei den Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten spannte sich über jeweils 0,9 Millionen ab Januar 2015 der Mindestlohn-Schutzschirm auf – insofern sich vorher nicht anderweitig ihre Verdienstsituation gebessert hatte. Denn, wie viele Beschäftigte es Anfang Januar dann tatsächlich waren, das lässt sich auch mit den neuen Zahlen nicht exakt beziffern.

 

Die Verdienststrukturerhebung wird alle vier Jahre von den statistischen Ämtern der Länder durchgeführt. Zuletzt (2010) waren die Angaben von 1,9 Millionen abhängig Beschäftigten ausgewertet worden. Für die aktuelle Erhebung vom April 2014 ist die Datengrundlage entscheidend erweitert worden. Erstmals wurde der Wirtschaftsabschnitt „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“ mit einbezogen. Zudem wurden diesmal auch Betriebe mit weniger als zehn Arbeitnehmern erfasst. Vor allem der Niedriglohnsektor kann damit deutlich genauer als früher erfasst werden.

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Quelle:

Pressemitteilung Nr. 121 des Statist. Bundesamtes vom 06.04.2016

 

Weiterlesen:

 

- Bellmann, L./ Bossler, M. u.a. (2015): IAB-Betriebspanel - Reichweite des Mindestlohns in deutschen Betrieben. IAB Kurzbericht, Nr. 06/2015, Nürnberg.

 

- Brautzsch, H.-U./ Schultz, B. (2015): Aktuelle Trends: Mindestlohn von 8,50 Euro: Hohe Betroffenheit in arbeitsintensiven Branchen. In: Wirtschaft im Wandel, 21. Jg., Nr. 1, S.3.

 

- Brenke, K. (2014): Mindestlohn: Zahl der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer wird weit unter fünf Millionen liegen. In: DIW Wochenbericht, 81. Jg., Nr. 5, S. 71-77.

 

- Kalina, T./ Weinkopf, C. (2015): Niedriglohnbeschäftigung 2013: Stagnation auf hohem Niveau. IAQ-Report, Nr. 3/2015.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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