Tarifbindung Tarifflucht

 

TARIFFLUCHT:

 

05/06/2017:

Auch 2016 nur noch schwache Tarifbindung von Beschäftigten

(von Markus Krüsemann)

 

Seit einigen Jahren arbeitet nur noch etwa die Hälfte aller Beschäftigten in Betrieben, für die ein Branchentarifvertrag gilt. Das war auch 2016 nicht anders. Die Tarifflucht von Unternehmen ist in den letzten Jahren zwar abgeflaut. Grund zur Entwarnung gibt es aber nicht, denn eine Wende zum Besseren ist nicht in Sicht.

 

Die Bedeutung von Branchentarifverträgen ist in den vergangenen zwanzig Jahren stark gesunken. Während 1996 noch 70 Prozent der westdeutschen und 56 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten in Betrieben arbeiteten, für die ein Branchentarifvertrag galt, gingen die Anteile in den Folgejahren nahezu stetig zurück. 2013 dann galt bundesweit nur noch für etwa die Hälfte der Beschäftigten ein Branchentarifvertrag (siehe 02.06.2014). Seitdem tritt die Entwicklung mehr oder weniger auf der Stelle.

 

Wie aktuelle Daten des IAB-Betriebspanels, einer jährlichen repräsentativen Befragung von mehr als 15.000 Betrieben durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), zeigen, hat sich die Situation auch 2016 nicht wesentlich geändert. Wie schon 2015 lag die Branchentarifbindung von westdeutschen Beschäftigten bei 51 Prozent. In Ostdeutschland ist ihr Anteil noch einmal von 37 auf 36 Prozent gesunken. Damit arbeiteten bundesweit nur noch 48 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in Betrieben, für die ein Branchentarifvertrag gilt.

 

 Anteile von Beschäftigten mit Branchentarifbindung (in Prozent)

Tarifbindung von Beschäftigten bis 2016
Quelle: IAB-Betriebspanel

 

Für 42 Prozent der westdeutschen und 53 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten galt 2016 gar kein Tarifvertrag. Gegenüber dem Vorjahr (41 % West; 51 % Ost) haben sich die Anteile nochmals erhöht. Auch wenn die Phase der massenhaften Tarifflucht wohl vorbei scheint, der Prozess der abnehmenden Tarifbindung ist noch nicht zum Stillstand gekommen.

 

Neben den vom Gesetzgeber erlassenen arbeitsmarktpolitischen Regelungen ist die tarifvertraglich abgesicherte Regulierung von Beschäftigungsverhältnissen durch die Tarifvertragspartner (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) ein zentraler Einflussfaktor für die Schaffung und den Erhalt guter, vernünftiger Arbeitsbedingungen. Auch wenn Tarifverträge nicht immer vor prekärer Beschäftigung schützen (Stichwort: Leiharbeit), so sind sie für viele ArbeitnehmerInnen ein Schutzschirm gegen Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Doch auch jenseits von Niedriglöhnen ist es für die Verdienstsituation von Beschäftigten von Vorteil, wenn sie in tarifgebundenen Betrieben arbeiten. So sind die Tariflöhne und -gehälter seit der Jahrtausendwende deutlich stärker gestiegen als die Bruttolöhne und -gehälter insgesamt.

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Quellen:

IAB-Presseinformation vom 02.06.2017

 

IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2017): Aktuelle Daten und Indikatoren: Tarifbindung der Beschäftigten (Juni 2017), Nürnberg.

 

IAB-Presseinformation vom 01.06.2016

 

Weiterlesen:

 

- Sell, S. (2017): Zur Entwicklung der Tarifbindung und der betrieblichen Mitbestimmung. Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 05.06.2017.

 

- "Tarifflucht in Deutschland: Weiße Flecken des Systems", taz.de vom 08.05.2017.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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