atypische Beschäftigung

 

ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG:

 

02/10/2017:

Medien gedenken des benachteiligten Fünftels am Arbeitsmarkt

(von Markus Krüsemann)

 

Seit vielen Jahren muss sich ein Fünftel der Erwerbstätigen mit atypischen Jobs begnügen, auf diesen Umstand weisen die Medien heute einmal mehr hin. So erinnern sie daran, dass der Arbeitsmarkt trotz des Jobbooms gespalten bleibt. Ein Tag der Einheit (im Broterwerb) ist das heute jedenfalls nicht.

 

Es rauscht vernehmlich im Blätterwald. Millionen Beschäftigte arbeiten nur in Teilzeit oder haben befristete Jobs, heißt es. Genauer gesagt habe 2016 jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland nicht mehr in einem Normalarbeitsverhältnis gestanden. Exakt 20,7 Prozent der Erwerbstätigen seien nurmehr einer atypischen Beschäftigung nachgegangen. Vor 20 Jahren habe der Anteil der ArbeitnehmerInnen in Teilzeit (bis 20 Std.), Befristung, Leiharbeit oder Minijob noch bei 15 Prozent gelegen.

 

Das alles stimmt, und es stimmt bedenklich - und zwar bereits seit August 2017, denn schon damals hatte des Statistische Bundesamt diese Zahlen veröffentlicht. Dort hieß es übrigens noch genauer, dass sich der ausgewiesene Anteil von 20,7 Prozent nicht auf alle Erwerbstätige, sondern auf die Grundgesamtheit der Kernerwerbstätigen bezieht, selbstständig und abhängig Erwerbstätige zwischen 15 und 64 Jahren, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder im Wehr- oder Freiwilligendienst befinden, und deren Arbeit regelmäßig mindestens zehn Stunden pro Woche umfasst. Damit ist wiederum auch klar, dass das gesamte Ausmaß atypischer Beschäftigung so nicht erfasst wird. Denn während einerseits die häufig einer atypischen Beschäftigung nachgehenden Erwerbstätigengruppen der SchülerInnen, Studierenden und RentnerInnen keine Berücksichtigung finden, werden andererseits die wohl kaum von atypischer Beschäftigung betroffenen Selbstständigen und Familienhelfer/innen mit einbezogen (vgl. 16.08.2017).

 

Was aber ist geschehen, dass die Zahlen in verkürzter Form erneut die Runde machen? Der Grund liegt in einer Antwort des Arbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses in den Bundesländern. Die Antwort ist zwar noch nicht im Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen Bundestages (DIP) einsehbar, sie wurde aber von der Linken-Abgeordneten Jutta Krellmann bereits ins Netz gestellt. Wer möchte, kann die Entwicklung der atypischen Beschäftigung nach Bundesländern differenziert nachvollziehen. Auch lässt sich dort nachlesen, dass der Anteil der atypisch Beschäftigten seit 2005 immer über der 20-Prozent-Marke gelegen hat. Trotz eines seit sechs Jahren sehr langsam schrumpfenden Anteils an atypisch Beschäftigten haben wir es also immer noch mit einem Fünftel von Erwerbspersonen zu tun, die auf dem Arbeitsmarkt in der Holzklasse sitzen. Es ist wie im richtigen Leben, auch im Jobwunder-Zug sitzt die Klassengesellschaft getrennt, wiewohl der Abteilwechsel hier noch weitaus schwieriger zu bewerkstelligen ist.

 

Arbeitsmarkt bleibt trotz Jobboom gespalten

 

Apropos Jobwunder. Die heutigen Pressemeldungen rufen vor allem eins erneut in Erinnerung. Der viel gepriesene Aufschwung am Arbeitsmarkt lässt an Qualität sehr zu wünschen übrig, denn dieses Jobwunder beruht vor allen Dingen auf der Zunahme atypischer und damit oft eben auch schlechter bezahlter und prekärer Arbeit (vgl. 30.06.2017). Die darin zum Ausdruck kommende Polarisierung am Arbeitsmarkt ist mitnichten ein Resultat einer auf breiter Front veränderter Lebensplanung von Erwerbstätigen, die zugunsten einer besseren Work-Life-Balance im Beruf lieber zurückstecken, lieber weniger arbeiten wollen. Im Gegenteil: Von einer freien Wahl kann in den allermeisten Fällen überhaupt keine Rede sein.

 

Viele Erwerbstätige hätten liebend gern einen besseren, eine ordentlichen und ordentlich abgesicherten Job. Das zeigt sich unter anderem an der hohen Zahl jener, die mehr arbeiten wollen. Das Bundesamt beziffert die Zahl der unfreiwillig nicht oder in zu geringem Umfang Erwerbstätigen auf insgesamt 5,4 Millionen. Zieht man davon die 1,8 Millionen Erwerbslosen und die eine Million Personen in Stiller Reserve ab, die froh wären, überhaupt mal einen Job zu bekommen, so bleiben 2,6 Mio. Unterbeschäftigte. Das sind Erwerbstätige, die den Wunsch nach zusätzlichen Arbeitsstunden haben und dafür auch zur Verfügung stehen.

 

Wie man sieht schlummert da ein riesiges ungenutztes Erwerbspersonenpotential. Es wäre Aufgabe der Politik dies als Herausforderung zu begreifen, zu benennen und programmatische Lösungen zu entwickeln. Stattdessen schmücken fast alle Parteien sich mit den monatlichen „Erfolgsmeldungen“ zurückgehender Arbeitslosenzahlen (und auch die bilden ja nur einen Teil der Wirklichkeit ab) und phantasieren teilweise schon von einer nahenden Vollbeschäftigung. Wie gut, dass die Medien heute noch einmal an das benachteiligte Fünftel am Arbeitsmarkt erinnert haben. Ein Tag der Einheit (im Broterwerb) ist das heute jedenfalls nicht.

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Quellen:

„Millionen sind in Teilzeit und Befristung“, Zeit online vom 02.10.2017

 

„Anteil atypischer Beschäftigung unverändert bei 21 %“, Pressemitteilung Nr. 281 des Statist. Bundesamtes vom 16.08.2017

 

Die Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses in den einzelnen Bundesländern. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. BT-Drucksache 18/13655 (09/2017).

 

„Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2016: 5,4 Millionen Menschen wollen (mehr) Arbeit“, Pressemitteilung Nr. 339 des Statist. Bundesamtes vom 28.09.2017

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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