Leiharbeit Zeitarbeit Arbeitnehmerüberlassung

 

LEIHARBEIT:

 

02/06/2016:

Faule Eier im Gesetzentwurf zur Regulierung der Leiharbeit

(von Markus Krüsemann)

 

Der Gesetzentwurf zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen kann jetzt in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess gehen. Von den um Missbrauchsverhinderung bemühten Anfangsplänen ist nicht mehr viel übrig, stattdessen enthält der Entwurf einige faule Eier, die nach Verschlimmbesserung stinken.

 

Nachdem das Bundeskabinett gestern den Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes von Bundesarbeitsministerin Nahles gebilligt hat, kann das Vorhaben zur angeblich stärkeren Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen seinen Weg durch das Gesetzgebungsverfahren fortsetzen.

 

Blickt man auf die bereits zurückgelegte Wegstrecke – von den halbherzigen Beschlüssen im Koalitionsvertrag (siehe 22.08.2014), über den ersten zahmen Entwurf vom November 2015 (siehe Annotazioni.de vom 18.11.2015), dem entscheidend verwässerten zweiten Entwurf vom Februar 2016 (siehe Annotazioni.de vom 25.02.2016) und den am Ende noch von der CSU in den Gesetzentwurf hinein geschriebenen Entschärfungen - zurück, so drängt sich mit Blick auf die Arbeitsministerin unweigerlich immer das eine Bild in den Vordergrund, läuft vor dem inneren Auge immer die gleich Sequenz ab: Die Magd mit einem Korb voller Eier in der Armbeuge, wie sie etwas ungestüm voran läuft und dabei nach und nach immer mehr Eier aus dem schwankenden Körbchen verliert. Nun hat Frau Nahles ihr Ziel fast erreicht, doch im Körbchen liegen kaum noch Eier, und die sind fast alle auch noch faul.

 

Faule Eier bei der Leiharbeit

 

Im Bereich der Leiharbeit hat sich die sukzessive Aushöhlung des Reformentwurfs schließlich soweit fortgesetzt, dass in einigen zentralen Punkten sogar eine Verschlechterung gegenüber dem derzeitigen Regulierungsniveau eintritt.

 

Der der Leiharbeit eigentlich zugeschriebene Charakter einer vorübergehenden Beschäftigung ist quasi aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz getilgt worden. Zwar sieht der Gesetzentwurf eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten vor, doch können Öffnungsklauseln in Tarifverträgen oder auch nur in auf ihnen beruhenden Betriebs- oder Dienstvereinbarungen Einsatzzeiten von weit über den vorgesehenen 18 Monaten ermöglichen. Nach oben gibt es keine Grenze.

 

Eine dennoch vereinbarte Überlassungshöchstdauer ist zudem nicht an die Aufgabe bzw. den Arbeitsplatz, sondern an den einzelnen Leiharbeitsbeschäftigten geknüpft. Unternehmen können Aufgaben damit weiterhin dauerhaft von billigen Leihkräften bearbeiten lassen, während sich für die so Beschäftigten das „Hire And Fire“-Rad dreht. Wie praktisch, dass Unternehmen die abservierten Leihkräfte schon nach drei (statt zuvor sechs) Monaten Pause wieder anheuern können. So ein Spiel lässt sich endlos fortsetzen.

 

Bei der Regelung zur Entgeltgleichheit nach spätestens 15 Monaten bleibt es nicht nur dabei, dass nur die wenigsten davon profitieren, weil ihre Einsatzzeiten zu kurz sind (siehe 15.07.2014). Unterbrechungen von demnächst nur noch drei Monaten zwischen zwei Einsätzen reichen aus, damit die Frist zur Entgeltgleichheit wieder bei Null beginnen kann.

 

 Die Pläne zur Regulierung von Leiharbeit im Überblick:

 

Faule Eier bei den Werkverträgen

 

Auch bei den Plänen zur Regulierung der Werkvertragsarbeit hat die Koalition noch einmal eine Verschlechterung eingebaut: Entgegen früherer Pläne können Leiharbeiter durchaus auch weiterhin als Streikbrecher eingesetzt werden, solange sie keine Arbeiten verrichten, die vorher von Streikenden ausgeführt worden sind.

 

Ein sehr viel gravierenderes Schlupfloch allerdings enthält die geplante Regelung zum Umgang mit illegalen Werkvertragskonstruktionen. Bislang konnten sich Scheinwerkunternehmer durch das Vorhalten einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung aus der Affäre ziehen. Die bei illegaler Werkvertragarbeit eigentlich eintretende Rechtsfolge eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher konnte damit zuverlässig abgewendet werden. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde der Gesetzentwurf solchen Praktiken den Boden dadurch entziehen, dass er der Vorlage einer Verleiherlaubnis diese Schutzwirkung abspricht.

 

Wie Stefan Sell jedoch bereits umfassend darlegt hat, hat sich in den Gesetzentwurf ein entscheidender, alles wieder zunichte machender Passus eingenistet: „Der BMAS-Entwurf (…) sieht für die illegale Überlassung ein Widerspruchsrecht des einzelnen Arbeitnehmers gegen das fingierte Arbeitsverhältnis vor“. Dieser braucht nur schriftlich erklären, dass er am Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher festhalten will, schon kommt kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher zustande. Dem Werkvertragsmissbrauch stehen damit weiterhin alle Türen offen. Die eigentlich als illegale Verleiher und Entleiher tätigen Unternehmen müssen nur darauf achten, dass sich das Fremdpersonal einsetzende Unternehmen schon bei Arbeitsaufnahme so einen schriftlichen Widerspruch von den Werkvertragsbeschäftigten aushändigen lässt. Wenn das mal kein faules Ei ist.

 

 Die Pläne zur Regulierung von Werkverträgen im Überblick:

 

Wer die Macht hat

 

Das Bild von der Eier verlierenden Magd ist natürlich irreführend, ja geradezu naiv, suggeriert es doch, da seien Gutwillige am Werk gewesen, denen Missgeschicke unterlaufen sind. Das Gegenteil ist der Fall. Hier haben Koalitionäre vorsätzlich, knallhart und auf massiven Druck der Wirtschaft versucht, so wenig wie möglich Substanzielles in die Erfüllung einer im Koalitionsvertrag festgelegten Absprache einfließen zu lassen. Dass ihnen dies am Ende so gut gelingen konnte, zeigt, wo die Machtlinien in Deutschland verlaufen. Es spricht ja Bände, dass die Arbeitgeber nach Bekanntwerden des sogenannten Koalitionskompromisses zur Leiharbeit Zufriedenheit zeigten und mit Frohlockungen nicht an sich halten konnten.

 

Und es zeigt, wie gering der politische Einfluss der Gewerkschaften mittlerweile ist. Ihre Reaktion der weitreichenden Zustimmung zu arbeitnehmerfeindlichen Regelungen hatte schon etwas von Gesichtswahrung, denn auch ihnen dürfte frühzeitig klar gewesen sein, welches Spiel da zu welchen Gunsten gespielt worden ist.

 

Aus dieser Perspektive erklärt sich womöglich auch das oft kritisierte Festhalten an den Entgelttarifverträgen bei der Leiharbeit. Diese laufen Ende 2016 ohne Nachwirkung aus. Bei einem Verzicht der Gewerkschaften auf neuerliche Tarifvereinbarungen würde automatisch ab Januar 2017 der Equal Pay-Grundsatz greifen, wäre mit einem Schlag die auch gewerkschaftlich angestrebte Entgeltgleichheit hergestellt. Das aber wird nicht passieren. Wer mag schon einen der wenigen verbliebenen (noch dazu zum Kerngeschäft gehörenden) Macht- und Einflussbereiche verzichten.

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Quellen:

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bearbeitungsstand vom 16.11.2015.

 

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bearbeitungsstand vom 17.02.2016.

 

Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bearbeitungsstand vom 01.06.2016.

 

Stefan Sell: Ein "Kuckuckskind" inmitten der "historischen Reform" der Leiharbeit? Eine handfeste Rosstäuscherei? Auf alle Fälle eine Verschlechterung und ein "toller Trick". In: Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 19.05.2016.

 

Linksfraktion im Bundestag: Leiharbeit und Werkverträge: Verschlechterung statt Regulierung, Nachricht vom 01.06.2016.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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