Einkommenspolarisierung

 

EINKOMMENSENTWICKLUNG:

 

25/09/2014:

Einkommenspolarisierung und Umverteilung werden sich fortsetzen

(von Markus Krüsemann)

 

 

Jahrzehntelang war Deutschland ein Staat mit einer vergleichsweise ausgeglichenen Einkommensverteilung. Das änderte sich zu Beginn der 1990er Jahre. Die Einkommen drifteten fortan immer weiter auseinander. Insbesondere das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends muss als eine Dekade der Einkommenspolarisierung und der zunehmenden sozialen Ungleichheit charakterisiert werden. Die auf breiter Front durchgesetzte neoliberale Doktrin der Deregulierung sorgte für eine gravierende Umverteilung: während immer mehr Menschen nur noch niedrige Einkommen erzielen konnten, wuchs die Gruppe der Wohlhabenden nicht nur, sie konnte auch immer größere Teile des gesellschaftlichen Reichtums auf sich vereinen (siehe 15.06.2010 und 27.01.2011).

 

Als Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 2012 feststellten, dass die Einkommen im Jahr 2010 erstmals wieder etwas weniger ungleich verteilt waren als noch fünf Jahre zuvor, da wurde bereits von Anzeichen für eine einsetzende Kehrtwende gesprochen (siehe 25.10.2012). Angesichts fehlender Reformen und Korrekturen durch die Politik kann es allerdings nicht verwundern, dass die vielerorts erhoffte Wende ausblieb. Bereits Ende 2013 mussten die gleichen DIW-Wissenschaftler konstatieren, dass die Einkommensungleichheit 2011 wieder angestiegen ist (siehe 13.11.2013).

 

Nachdem die Trendwende ausgeblieben ist, kann aufgrund bislang fehlender Daten noch niemand mit Sicherheit sagen, ob und wie weit sich die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland in den Jahren ab 2012 weiter geöffnet hat. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung hat in einer aktuellen Studie allerdings versucht, durch einen Blick auf die Ursachen der Einkommensumverteilung die weitere Entwicklung abzuschätzen. Indem sie ihren Blick dabei auf den Zusammenhang zwischen Konjunktur und Einkommensverteilungen konzentrieren, kommen sie zu interessanten Schlussfolgerungen.

 

In Bezug auf die Einkommensverteilung haben die Forscher das sog. Haushaltsmarkteinkommen zunächst in drei Einkommensarten geschieden: Erwerbseinkommen aus Vollzeittätigkeit, Erwerbseinkommen aus atypischer Beschäftigung und Kapitaleinkommen (Zinseinkünfte, ausgeschüttete Gewinne und Mieteinnahmen). Betrachtet man allein die Entwicklung der Erwerbseinkommen, so zeigt sich, dass die Veränderungen am Arbeitsmarkt eine seit der Jahrtausendwende zunehmende Ungleichheit hervorgerufen haben: eine insgesamt sinkende Beschäftigung sowie eine Ausdehnung des Anteils atypischer Beschäftigungsverhältnisse haben sich negativ auf die Verteilung der von den Haushalten erzielten Erwerbseinkommen ausgewirkt und zu einer zunehmenden Einkommensungleichheit geführt. Dieser Zusammenhang erklärt allerdings nicht, warum deren Dynamik seit Mitte der 2000er Jahre deutlich nachließ.

 

Dass Veränderungen bei den Erwerbseinkommen die Ungleichheit treiben, ist tatsächlich nur die halbe Wahrheit, das wird bei der Betrachtung der Kapitaleinkommen deutlich. Nach Erkenntnissen des Forscherteams haben die am oberen Rand der Einkommensverteilung konzentrierten Kapitaleinkommen „ganz wesentlich das Ausmaß der Einkommensungleichheit in Deutschland“ bestimmt.

 

Der vielfach unterschätzte Einfluss der Kapitaleinkommen auf die Einkommenspolarisierung zeigt sich vor allem in den Jahren 2005 bis 2012, in denen gerade auch die globale Wirtschaftskrise die Verteilung der Einkommen in Deutschland zwischen den Haushalten beeinflusst hat. Dass es ausgerechnet in dieser Phase zu einer Abschwächung der Einkommenspolarisierung gekommen ist, lag allein am „krisenbedingten Rückgang der Kapitaleinkommen“. Sie wurde gerade nicht durch den Aufschwung am Arbeitsmarkt hervorgerufen, denn für sich genommen hätte die Entwicklung der Erwerbseinkommen die Ungleichheit ab 2005 sogar noch weiter erhöht.

 

Aus dem eigenartigen Verlauf der Einkommensentwicklung von 2000 bis 2010 schlussfolgern die Forscher, dass von der Entwicklung und Verteilung der Kapitaleinkommen in Schwächephasen (beispielsweise während der Finanzkrise) eher ungleichheitsreduzierende Effekte ausgehen. So klärt sich letztlich auch das „Rätsel“ einer Abnahme der Ungleichheit ausgerechnet in der Krisenphase 2009/2010.

 

Im Ergebnis kommen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass die positive Arbeitsmarktentwicklung ab Mitte der 2000er Jahre und die damit einhergehende Veränderung der Verteilung der Erwerbseinkommen die Abschwächung des Ungleichheitsanstiegs nicht hinreichend erklären. Vielmehr erweisen sich Veränderungen im Anteil und in der Konzentration der Kapitaleinkommen als treibende Kräfte für die Entwicklung der Einkommensungleichheit insgesamt, sowohl in der ersten Hälfte der 2000er Jahre, als auch während der Krise Ende der 2000er Jahre.

 

Angesichts der Bedeutung der Kapitaleinkommensentwicklung für Veränderungen der Einkommensverteilung liegt es für das Autorenteam auf der Hand, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland nach der Krise wieder ansteigen wird. Vor dem Hintergrund der bereits bekannten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den Jahren 2012 bis 2014 und der damit einhergehenden positiven Entwicklung bei den Unternehmensgewinnen und den Vermögenseinkommen ist „davon auszugehen, dass sich der Anteil der Kapitaleinkommen am Markteinkommen der Haushalte gegenüber den Krisenjahren wieder spürbar erhöhen wird (…). Von einer allgemeinen Trendwende hin zu einer geringeren Ungleichverteilung kann demnach nicht ausgegangen werden."

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Quellen:

HBS-Pressemitteilung vom 25.09.2014

 

Verteilung - Ungleichheit wächst wieder. In: Böckler impuls, Nr. 20/2011 vom 14.12.2011.

 

Horn, G. A./ Gechert, S. u.a. (2014): Wirtschaftskrise unterbricht Anstieg der Ungleichheit. IMK Report, Nr. 97, September 2014.

 

Weiterlesen:

 

Rehm, M./ Schmid, K. D./ Wang, D. (2014): Why has Inequality in Germany not Risen Further after 2005? IMK Working Paper, Nr. 137, August 2014.

 

Unger, B./ Bispinck, R. u.a. (2013): Verteilungsbericht 2013: Trendwende noch nicht erreicht. WSI Report, Nr. 10, November 2013.

 

Grabka, M./ Goebel, J. (2013): Rückgang der Einkommensungleichheit stockt. DIW Wochenbericht, 80. Jg., Nr. 46, S. 13-23.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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