MINIJOBS:

 

24/01/2021:

Corona oder: Der Minijob ist weg? Weg mit den Minijobs!

(von Markus Krüsemann)

 

Minijobs sind keine nachhaltige Beschäftigungsform. Sie bieten nur ein Zubrot ohne verlässliche Absicherung. Und wie Jobs zweiter Klasse werden sie auch behandelt. Die von der Corona-Pandemie hervorgerufene Krise am Arbeitsmarkt macht dies erneut eindringlich klar.

 

Rein quantitativ betrachtet hat der Beschäftigungszuwachs der vergangenen Jahre durchaus die gern verwendete Bezeichnung „Jobboom“ verdient. So stieg die Erwerbstätigkeit in den letzten Jahren kontinuierlich. Zwar zeichnete sich im Verlauf des Jahres 2019 bereits ein leichtes Abflauen der Dynamik ab, doch war es der Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020, der den Trend fürs Erste gebrochen hat.

 

Abb.1: Erwerbstätige im Inland im Jahresdurchschnitt (in 1.000)

Entwicklung der Erwerbstätigkeit 2000 bis 2020
Quelle: Erwerbstätigenrechnung des Statist. Bundesamts

 

Weil hier aber jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit mitgezählt wird, unabhängig vom Umfang dieser Tätigkeit und von der Einkommenshöhe, ist es unbedingt notwendig, auf die Qualität der neu entstandenen Jobs zu schauen. Und da sieht es dann schon nicht mehr so rosig aus. Sicher, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in den vergangen zehn Jahren von unter 28 Millionen auf über 33 Millionen gestiegen. Auch der reguläre Vollzeitjob hat nach einer langen Phase des Rückgangs wieder an Bedeutung gewonnen. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten liegt mittlerweile wieder auf dem Niveau der Jahrtausendwende.

 

Minijobboom: Innerhalb von zehn Jahren ein Plus von 39 Prozent

 

Der Jobboom der letzten Jahre brachte aber auch ein starkes Anwachsen von atypischen und prekären Beschäftigungsformen. Zu denen zählen auch und gerade die Minijobs. Nachdem Rot-Grün im Jahr 2003 die Minijobregeln liberalisiert hatte, stieg die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse innerhalb von zehn Jahren um satte 39 Prozent von 5,3 auf 7,4 Millionen. Seit 2014 hat sich deren Zahl bei der 7,5 Millionen Marke eingependelt, wobei die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten seit etwa fünf Jahren sogar rückläufig ist. Hier dürfte der seit 2015 geltende Mindestlohn die wichtigste dämpfende Rolle gespielt haben. Die Zahl derjenigen, die neben ihrer Haupttätigkeit noch Geld in einem Minijob als Nebenjob verdienen wollen oder müssen, ist allerdings kontinuierlich weiter gestiegen. Vor Ausbruch der Coronakrise waren es bereits drei Millionen (Juni 2010: 2,02 Mio.)

 

Abb. 2: Geringfügig entlohnte Beschäftigte (GeB) (jew. zum 30.06 und 31.12.)

Entwicklung der Minijobs 2010 bis 2020
Quelle: Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit

 

Unabhängig von den hier mal nicht erörterten Gründen für das Phänomen des Zweitjobs (und des Multijobbens) kann festgestellt werden: Es handelt sich um Arbeitsvolumen, das eben nicht in den Bereich regulärer Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht und entsprechender Absicherung fällt. Insofern ist auch jeder geringfügige Nebenjob ein weiterer Schritt auf dem Weg der Prekarisierung des Arbeitsmarktes, der zulasten des Normalarbeitsverhältnisses mit seiner eingebauten Absicherung etwa gegen die Folgen von Jobverlust, Krankheit oder vorübergehender Arbeitsunfähigkeit geht.

 

Ein Lockdown und der Minijob ist weg

 

Wie wichtig diese Absicherung sein kann, wie schmerzlich die fehlende Sicherheit bei prekären Jobs vermisst werden kann, das wird schlaglichtartig durch die Arbeitsmarktverwerfungen deutlich, die in der Folge der Corona-Pandemie und der Maßnahmen zur Eindämmung des Sars-CoV-2-Virus eingetreten sind.

 

„Beschäftigte in Minijobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession“, lautet der Befund einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom November 2020. Wie die Auswertung zeigte, gab es im Juni 2020 rund 850.000 oder zwölf Prozent weniger geringfügig Beschäftigte als ein Jahr zuvor. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um gerade mal 0,2 Prozent. Betroffen waren vor allem Beschäftigte mit Minijob als Haupttätigkeit. 45 Prozent der im Jahr 2019 ausschließlich geringfügig Beschäftigten hatten im Frühjahr 2020 keinen Job mehr. Bei den MinijobberInnen in Nebentätigkeit belief sich der Anteil auf „nur“ 18 Prozent.

 

Und dies sind nur die Folgen vom ersten Lockdown ab März/April 2020. Noch ist wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen der Winter-Lockdown haben wird. Vermutlich wird er die Lage der MinijobberInnen, die sich bis zum Herbst ein wenig erholt hatte, erneut verschärfen. Die ersten hochgerechneten Daten der Bundesagentur für Arbeit weisen für den Oktober 2020 bereits wieder eine Negativentwicklung aus.

 

Abb. 3: Geringfügig entlohnte Beschäftigte, Dez. 2019 bis Okt. 2020

Minijobentwicklung von Dez. 2019 bis Okt. 2020
Quelle: Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit

 

Vor diesem Hintergrund muten die positiven Aussagen über den Arbeitsmarkt in der Krise, er sei robust, habe sich krisenfest gezeigt, doch recht seltsam an. Sie zeigen nur, dass die geringfügig Beschäftigten nicht zählen. In der Arbeitslosenstatistik werden sie ja eh nicht berücksichtigt, und man hat den Eindruck, sie werden auch jetzt in der Krise ignoriert oder schlicht vergessen. So haben etwa die Gewerkschaften ver.di und NGG eine begrüßenswerte Petition für ein Mindest-Kurzarbeitergeld gestartet, in dem, der Sozialversicherungslogik folgend, keine Hilfen für MinijobberInnen vorgesehen sind. Das ist vielleicht noch nachvollziehbar, doch wenn der Aufruf mit den Worten begründet wird, „die“ Beschäftigten im Gastgewerbe (und anderswo) bräuchten dringend Unterstützung, dann bleibt doch ein schaler Beigeschmack.

 

Schlecht und schlechter

 

Keine Frage, auch für ArbeitnehmerInnen in sozialversicherungspflichtigen Jobs sind die Einschnitte in vielen Fällen massiv. Dank Kurzarbeiterregelung konnten jedoch viele zumindest vor der Arbeitslosigkeit geschützt werden, auch wenn durch die reduzierten Bezüge gerade Geringverdienende vor große finanzielle Probleme gestellt werden. Und wer doch erwerbslos geworden ist, der hat in den meisten Fällen wenigstens Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG 1), sodass ihm der demütigende Gang zum Jobcenter zumindest dann erspart bleibt, wenn der Lohn hoch genug gewesen war, um ein Arbeitslosengeld über Hartz IV-Niveau zu erhalten.

 

Im Vergleich dazu ist bei den Minijobs „Land unter“. Kurzarbeitergeld? Fehlanzeige. Arbeitslosengeld? Fehlanzeige. Hier rächt sich die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht. Die vermeintlich attraktive Gleichung „Bruttoverdienst ist Nettolohn“ mit der Arbeitgeber gerne für Minijobs werben, geht in Krisenzeiten nicht mehr auf. Wer nach Hause geschickt wird und plötzlich nur noch die Bruttonull bekommt, der hat davon auch netto nichts in der Tasche. Und nur mal so am Rande über jene, die ihren Minijob behalten konnten, jetzt aber Schulkinder zuhause sitzen haben: Weil eine geringfügige Beschäftigung keinen eigenen Krankenversicherungsschutz begründet, haben MinijobberInnen keinen Anspruch auf Betreuungs-Kinderkrankengeld, das erst kürzlich auf maximal 20 Tage (Alleinerziehende: 40 Tage) pro Kind erhöht worden ist.

 

Zum Ausmaß der Minijobkrise trägt natürlich auch der Umstand bei, dass die Arbeiten, die geringfügig Beschäftigte verrichten, in der Regel nicht dazu geeignet sind, im Home Office erledigt zu werden. Noch schwerer wiegt allerdings die Tatsache, dass Minijobs sich in jenen Branchen konzentrieren, die von den Lockdown-Maßnahmen besonders stark betroffen sind. Ende 2019 arbeiteten nach Angaben der Minijobzentrale 17,3 Prozent aller MinijobberInnen im Bereich ’Handel; Instandhaltung u. Reparatur von Kraftfahrzeugen‘, 13,0 Prozent im Gastgewerbe und 12,5 Prozent im Bereich ’sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen‘. Ende Juni 2020 waren es allein im Gastgewerbe 32,9 Prozent weniger, 286.000 hatten dort im ersten Halbjahr 2020 ihren Job verloren. Bei den ’sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen‘ betrug das Minus 12,1 Prozent.

 

Weg mit den Minijobs!

 

Die überdurchschnittliche Nutzung des Flexibilisierungs- und Lohnsenkungsinstruments Minijob in den von Corona besonders betroffenen Branchen ist jedoch ein Aspekt, der für sich genommen die Minijobkrise nicht erklären kann. Eigentlich verschärft sich dadurch ja nur ein grundsätzliches Problem, dessen Ursache eine strukturelle ist: Minijobs sind eine krisenanfällige, prekäre Beschäftigungsform. Eine geringfügige Beschäftigung ist nicht geeignet, den Lebensunterhalt zu sichern, von der späteren Altersversorgung ganz zu schweigen, und eine Brücke in reguläre Beschäftigung ist sie auch nicht. Doch statt hier die längst überfällige arbeitsmarktpolitische Re-Regulierung anzugehen, streitet die Koalition lieber über die Anhebung der Verdienstgrenze von 450 auf 600 Euro.

 

Hätte es noch einer weiteren Begründung bedurft, dass Minijobs Jobs zweiter Klasse sind, die in ihrer jetzigen Form abgeschafft werden müssen, die Corona-Pandemie hat sie geliefert. Aber die Arbeitswelt ist eben auch nur eine Welt, die gerne und viel interpretiert wird, obwohl es doch darauf ankäme, sie zu verändern.

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Quellen:

„Abserviert: Tausende Minijobber haben in Berlin ihre Arbeit verloren“, Berliner Zeitung online vom 13.01.2021.

 

„Bayerischer Arbeitsmarkt 2021: Von Corona geprägt“, BR.de vom 20.01.2021.

 

DGB Niedersachsen (2021): Minijobs: Ohne Absicherung direkt ins Abseits. #schlaglicht Nr. 02/2021, Hannover.

 

Grabka, M. M./ Braband, C./ Göbler, K. (2020): Beschäftigte in Minijobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession. In: DIW-Wochenbericht, 87. Jg., Nr. 45, S. 842-847.

 

Minijob-Zentrale (Hg.) (2019): Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Minijobs. 4. Quartalsbericht 2019, Essen.

 

Minijob-Zentrale (Hg.) (2020a): Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Minijobs. 2. Quartalsbericht 2020, Essen.

 

Minijob-Zentrale (Hg.) (2020b): Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Minijobs. 3. Quartalsbericht 2020, Essen.

 

„Schlechte Zeiten für Bremer Minijobber“, butenunbinnen.de vom 16.01.2021.

 

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2020a): Beschäftigungsstatistik, Länderreport über Beschäftigte (Quartalszahlen), Juni 2020.

 

Bundesagentur für Arbeit (2020b): Arbeitsmarkt kompakt – Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Nürnberg, Dezember 2020.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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