Leiharbeit Arbeitnehmerüberlassung

 

LEIHARBEIT:

 

16/05/2018:

Wenn man die Leiharbeiter fragt...

(von Markus Krüsemann)

 

Leiharbeit hat einen schlechten Ruf. Und das zu Recht, wie Arbeitsmarktanalysen regelmäßig zeigen. Fragt man aber die Betroffenen selbst, so kommen über die strukturellen Missstände hinaus negative Erfahrungen am Arbeitsplatz ans Licht, die einen zusätzlichen Beitrag zur überdurchschnittlich hohen Unzufriedenheit von Leiharbeitsbeschäftigten leisten.

 

In der Welt der Arbeitnehmerüberlassung scheint alles zum Besten bestellt, das zumindest ist immer dann die Botschaft der Branche, wenn sie sich ins rechte Licht setzen will. Von attraktiven Einsatzbedingungen und fairer Bezahlung ist da die Rede, oder auch davon, dass man Arbeitslosen einen viel versprechenden Einstieg in den Arbeitsmarkt biete, noch dazu in spannenden, abwechslungsreichen Projekten.

 

Man könnte glatt meinen, in den Verleihunternehmen sind überwiegend um das Wohlergehen der Mitarbeiter fürsorglich bemühte Menschenfreunde am Werk. Als einen solchen stellt sich zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Adecco-Gruppe, deren Tochterunternehmen in Deutschland mit Randstad um die Marktführerschaft konkurriert, Alain Dehaze, dar. Er verstieg sich in einem Interview sogar zu der Behauptung, man wolle allen Menschen in den Arbeitsmarkt helfen. Mehr noch: Deutschland wolle man dabei helfen, das Demografieproblem zu verringern.

 

Das ist natürlich alles Quatsch und dient - ziemlich plump - bloß der Imagepflege. Die Realität hinter den hübschen Nebelkerzen sieht völlig anders aus. Das verrät im Ansatz schon ein Blick in diverse Statistiken. Wer es genauer wissen will, der wird bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) fündig. Die ist zwar nicht gerade als Kritikerin von prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bekannt, doch in ihren Analysen zur Entwicklung der Leiharbeit in Deutschland kommt sie nicht umhin regelmäßig festzustellen,

 

1. dass LeiharbeiterInnen ein überdurchschnittlich hohes Risiko haben, aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung heraus arbeitslos zu werden (zuletzt gingen laut BA 14 Prozent der Zugänge in Arbeitslosigkeit auf eine Branche zurück, die weniger als drei Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stellte);

 

2. dass LeiharbeiterInnen überdurchschnittlich oft nur auf dem Niveau von Helfertätigkeiten eingesetzt werden, und zwar auch dann, wenn individuell eine höhere Qualifikation vorliegt;

 

3. dass LeiharbeiterInnen Bruttoarbeitsentgelte erzielen, die deutlich unter den im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Entgelten liegen. Die Gehaltslücke kann nur zu einem Teil dadurch erklärt werden, dass Leiharbeitende so oft schlechter bezahlte Helfertätigkeiten ausüben, denn die Entgeltdifferenzen verschwinden auch bei einer nach Anforderungsnivaus differenzierten vergleichenden Betrachtung nicht.

 

Und wer zu wenig verdient, der braucht oft staatliche Unterstützung. Wie Süddeutsche.de kürzlich berichtete, lag der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die ergänzende Hartz-IV-Leistungen beziehen, im Juni 2017 in der Leiharbeit bei 5 Prozent. Über alle Branchen hinweg hatten dagegen nur 2 Prozent der Beschäftigten Arbeitslosengeld II bezogen. Übrigens war der überwiegende Teil der Leiharbeitsbeschäftigten (71 %), der ergänzende Leistungen aus der Grundsicherung bezog, in Vollzeit beschäftigt.

 

Frag nicht die Betriebe, frag die LeiharbeiterInnen

 

Meist geringe Anforderungsniveaus, hohes Entlassungsrisiko, miese Bezahlung. Das klingt nicht gerade nach guter Arbeit. Wer aber könnte die Qualität der Jobs besser beurteilen als die Betroffenen selbst? Und immer wenn sie das tun, bröckelt die Fassade doch erheblich. Denn über die aus Arbeitsmarktanalysen bekannten strukturellen Nachteile hinaus wissen sie von weiteren Dimensionen negativer Arbeitserfahrung zu berichten, die Leiharbeit in ein ziemlich schlechtes Licht rücken.

 

In der letzten ihrer regelmäßig durchgeführten Erwerbstätigenbefragungen hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) feststellen müssen, dass Leiharbeitsbeschäftigte deutlich unzufriedener mit ihrer Arbeit sind als regulär Beschäftigte. Mit 23,8 Prozent war fast ein Viertel aller Leihkräfte mit der Gesamtsituation nicht zufrieden. Unter den Beschäftigten außerhalb der Überlassungsbranche lag der Wert nur bei 7,6 Prozent.

 

Im Einzelnen zeigten sich die LeiharbeiterInnen vor allem mit der Entlohnung, aber auch mit den Aufstiegsperspektiven und den Weiterbildungsmöglichkeiten unzufrieden. Besonders große Differenzen im Vergleich zu regulär Beschäftigten zeigten sich bei den Aspekten „Möglichkeit, Fähigkeiten anzuwenden“ und „Art und Inhalt der Tätigkeit“. Das deutet darauf hin, dass ArbeitnehmerInnen in der Überlassungsbranche sehr oft für simple, eng vorgeschriebene und eher repetitive Arbeitsaufgaben eingesetzt werden, für die sie oft eigentlich überqualifiziert sind.

 

Anteile an Kernerwerbstätigen in Deutschland nach Aspekten von Arbeitsunzufriedenheit im Jahr 2012 (in Prozent)

Unzufriedenheit von Leiharbeitsbeschäftigten in Deutschland
Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

 

Die Zahlen der BAuA stammen zwar aus der Erwerbstätigenbefragung des Jahres 2012, doch an der Situation der LeiharbeiterInnen hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert, sodass ein neuerliche Umfrage mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich schlechte Werte zu Tage fördern dürfte.

 

Gestützt wird diese Vermutung durch aktuelle Zahlen aus Österreich. Dort arbeiten etwa 85.000 Menschen in der Überlassungsbranche, und auch sie sind deutlich unzufriedener mit ihrer Arbeit als die regulär abhängig Beschäftigten. Ihre Stellung im Betrieb erregt ihr Missfallen, und so sehen sie sich häufig als Belegschaft zweiter Klasse. Nach neuesten Befunden des Arbeitsklimaindex’ der Arbeiterkammer Oberösterreich spricht annähernd die Hälfte von ihnen im Zusammenhang mit ihrem Job von einer allgemeinen Lebensunzufriedenheit. Bei regulär Beschäftigten liegt der Anteil nur bei 16 Prozent.

 

Anteile an unselbständig Beschäftigten in Österreich nach Aspekten von Unzufriedenheit mit betrieblichen Faktoren im Jahr 2018 (in Prozent)

Unzufriedenheit von Leiharbeitsbeschäftigten in Österreich
Quelle: Arbeiterkammer Oberösterreich, Arbeitsklimaindex

 

Ähnlich wie ihre deutschen KollegInnen bemängeln auch die österreichischen Leiharbeitsbeschäftigten vor allem die schlechten Aufstiegsperspektiven. Darüber hinaus offenbart die österreichische Befragung weitere Aspekte von Arbeitsunzufriedenheit. Zu ihnen zählen insbesondere die Einschätzungen zu den eigenen Rechten und zur sozialen Einstellung des Betriebs gegenüber den Beschäftigten. Und noch etwas fällt auf: 56 Prozent der LeiharbeiterInnen sind unzufrieden mit ihrer sozialen Position in der Gesellschaft. Hier spielt das Wissen darum, nur Beschäftigte zweiter Klasse zu sein, wohl eine entscheidende Rolle.

 

Zeitarbeit führt nach wie vor zu Frust“, betitelte die Onlineausgabe der Wilhelmshavener Zeitung heute ihren Bericht zu einem Leiharbeiter, der nach Ablauf des Vertrags nicht wie erhofft übernommen, sondern vor die Tür gesetzt wurde. Dem bleibt nur hinzuzufügen, so wie ihm ergeht es Tausenden, und das schon seit Jahren. Das vermeintliche Jobwunder hat daran nichts geändert, denn die allgemein steigende Nachfrage nach Arbeitskräften hat der Überlassungsbranche bisher nicht geschadet. Sie ist weiterhin auf Wachstumskurs, und mit ihr wächst die Zahl der Unzufriedenen.

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Quellen:

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2018): Blickpunkt Arbeitsmarkt – Aktuelle Entwicklungen der Zeitarbeit, Nürnberg, Februar 2018.

 

Brenscheidt, S./ Siefer, A. u.a. (2018): Arbeitswelt im Wandel: Zahlen - Daten - Fakten (2018), Ausgabe 2018, Dortmund.

 

„Belegschaft zweiter Klasse: Leiharbeit ist wieder stark im Vormarsch“, AK Arbeitsklimaindex Newsletter, Nr. 02/2018.

 

"’Zweite Klasse’: Leiharbeiter fühlen sich wie Arbeitslose“, der Standard online vom 04.05.2018.

 

„Zeitarbeit führt nach wie vor zu Frust“, Wilhelmshavener Zeitung online vom 16.05.2018.

 

Weiterlesen:

 

- Busk, H./ Jahn, E./ Singer, C. (2015): Do Changes in Regulation Affect Temporary Agency Workers’ Job Satisfaction?, IZA Discussion Paper, No. 8803, Jan. 2015.

 

- Grund, C./ Martin, J./ Minten, A. (2014): Beschäftigungsstruktur und Zufriedenheit von Zeitarbeitnehmern in Deutschland. SOEPpapers, No. 677, Berlin.

 

- Pettiliot, R. (2016): How Important is the Type of Working Contract for Job Satisfaction of Agency Workers? SOEPpapers, No. 832, Berlin.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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