Geringverdiener

 

GERINGVERDIENENDE:

 

14/09/2018:

Rentenlücke: Wenn der Altersruhestand zum Überlebensabend wird

(von Markus Krüsemann)

 

Unstete Erwerbsbiografien, Phasen der Arbeitslosigkeit, nur mäßig entlohnte Arbeit - auch jenseits der Erwerbsarmut und der dauerhaft prekären Beschäftigung verdüstern sich für eine zunehmende Zahl von abhängig Beschäftigten die Aussichten auf einen materiell auskömmlichen Ruhestand.

 

Die Zahl der RentnerInnen, die Grundsicherung im Alter erhalten, steigt bereits seit Jahren an. Und das ist erst der Anfang: Bei einem großen Teil der jetzt 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen ist die zu erwartende Rentenhöhe nicht ausreichend, um damit allein den aktuellen Lebensstandard zu halten. Würden sie jetzt in den Ruhestand gehen, so könnten 58 Prozent von ihnen ihren Konsum nicht aus Anwartschaften aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge oder Beamtenpensionen decken. Bei Erwerbstätigen, die allein Anwartschaften aus der Gesetzlichen Rentenversicherung haben, läge der Anteil sogar bei 69 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

 

Weniger dramatisch sieht es naturgemäß aus, wenn die Erwerbstätigen der untersuchten Altersgruppe nicht sofort in den Ruhestand gingen, sondern noch bis zum durchschnittlichen Rentenzugangsalter von 64 Jahren so weiterarbeiten würden wie aktuell. Unter Betrachtung aller Rentenanwartschaften sänke der Anteil der Personen, die ihren Konsum nicht decken können, von 58 Prozent auf 50 Prozent. Das aber wäre immer noch ein beunruhigend hoher Prozentsatz.

 

Per Arbeit oder anderweitig angehäuftes Vermögen kann, wie immer, nicht schaden. Wer darüber verfügt, hat gute Aussichten, seinen Lebensstandard im Alter aufrecht erhalten zu können. Dumm nur, dass die privaten Vermögen so schrecklich ungleich verteilt sind. Bleiben noch private Versicherungen wie Lebens- und Rentenversicherungen. Auch sie tragen einen Teil dazu bei, die drohende Versorgungslücke zu verkleinern. Der ist aber überraschend gering, denn er lässt den oben errechneten Anteil nur von 58 auf 56 Prozent bzw. von 50 auf 48 Prozent sinken.

 

Statt Teilprivatisierung Stärkung der gesetzlichen Rente

 

Wieder mal zeigt sich, dass die groß propagierte dritte Säule der Alterssicherung ihren Zweck nicht erfüllen kann und nur die Taschen der Versicherer füllt. Mehr noch: In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen spricht Christoph Butterwegge von einer „Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung“, für die er die „Teilprivatisierung der Altersvorsorge durch Einführung der Riester-Rente“ verantwortlich macht. Wer wollte da ernsthaft widersprechen.

 

Auch wenn die staatliche Altersrente grundsätzlich nicht so konzipiert ist, dass die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung das weggefallene Erwerbseinkommen vollständig ersetzen sollen, so dürfte dennoch deutlich geworden sein, dass nach all den Rentenkürzungen der letzten Jahrzehnte die gesetzliche Rente allein heute vielfach nicht mehr ausreicht, um ohne erhebliche Abstriche in den Ruhestand zu gehen. Die betriebliche Altersvorsorge kann die Versorgungslücke teilweise füllen, doch ist ihre Verbreitung gerade unter den Geringverdienern oder den prekär Beschäftigten relativ gering.

 

Die Schlussfolgerung des Forscherteams kann daher nicht überraschen: Das System der Alterssicherung muss reformiert werden. So soll die erste Säule, die gesetzliche Rente, wieder mehr Gewicht erhalten, etwa durch eine Ausweitung des Kreises der Versicherten. Auch gelte es, ein weiteres Absinken des Rentenniveaus zu begrenzen. Und noch etwas stellen die Wissenschaftler zur Diskussion. Gerade Geringverdienern wäre im Alter sehr geholfen, wenn von dem bisher angewendeten Äquivalenzprinzip, wonach die Höhe der Beitragszahlung allein die Höhe der Rentenleistung bestimmt, abgewichen werden würde. Damit liegt der Ball im Feld der Politik.

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Quellen:

DIW-Pressemitteilung vom 12.09.2018.

 

Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 12.09.2018.

 

„Überlebensabend“, FR online vom 13.10.2018.

 

Stefan Sell: Von Lücken und tiefen Löchern beim verfügbaren Geld im Ruhestand. Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 12.09.2018.

 

"Die Altersarmut wird sogar noch zunehmen", Augsburger Allgemeine vom 13.09.2018.

 

Weiterlesen:

 

- Grabka, M./ Bönke, T. u.a. (2018): Rentennahe Jahrgänge haben große Lücke in der Sicherung des Lebensstandards. In: DIW Wochenbericht, 85. Jg., Nr. 37, S. 810-818.

 

- Stuth, S./ Schels, B./ Promberger, M. (u.a.) (2018): Prekarität in Deutschland ?! WZB Discussion Paper P 2018–004, Berlin.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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