Geringverdiener Niedriglöhne

 

NIEDRIGLOHNSEKTOR:

 

10/08/2017:

Umfang der Niedriglohnbeschäftigung 2015 nahezu unverändert

(von Markus Krüsemann)

 

Auch im ersten Jahr mit Mindestlohn zählte weit über ein Fünftel aller abhängig beschäftigten Erwachsenen zu den Geringverdienenden, denn gegenüber dem Vorjahr hat sich der Umfang der Niedriglohnbeschäftigung kaum verändert. Und weiterhin sind MinijobberInnen und junge Beschäftigte besonders stark von Magerlöhnen betroffen.

 

In den vergangenen Jahren hat das Institut Arbeit Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg/Essen regelmäßig eine Analyse zur Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland vorgelegt. Die alljährlichen Auswertungen von Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) konnten zwar immer nur einen zwei Jahre zurückliegenden Zustand abbilden, doch hatten sie gegenüber manch anderen Erhebungen den Vorteil, den Niedriglohnsektor umfassender durchleuchten zu können, weil neben den Vollzeitbeschäftigten auch die häufiger von schlechten Verdiensten betroffenen Teilzeitkräfte und MinijobberInnen berücksichtigt werden konnten.

 

Nachdem das IAQ im letzten Jahr auf eine thematisch umfassende Auswertung der Paneldaten zu Niedriglöhnen verzichtet hatte, ist jetzt wieder eine Studie erschienen, die die Entwicklung des Niedriglohnsektors bis ins Jahr 2015 durchleuchtet. Mit der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) liegen zwar schon Zahlen für das Jahr 2016 vor (siehe 25.07.2017), die aber beziehen sich allein auf die Gruppe der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten. Wer sich indes für die Verdienstsituation aller abhängig Erwerbstätigen interessiert, wird dank der IAQ-Auswertung fündig.

 

Von Niedriglöhnen wird nach der derzeit allgemein verwendeten OECD-Definition dann gesprochen, wenn die Bruttostundenentgelte weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Medianlohn) aller Beschäftigten betragen. Laut Berechnungen des IAQ hatte diese für das gesamte Bundesgebiet ermittelte Niedriglohnschwelle im Jahr 2015 bei 10,22 Euro gelegen. Gegenüber dem 2014er Schwellenwert von 9,97 Euro ist das eine deutliche Steigerung, die auf dem vergleichsweise guten allgemeinen Lohnwachstum der Gesamtwirtschaft beruht. Der Anteil von Niedriglohnbeschäftigten an allen abhängig Beschäftigten (ab 18 Jahren; ohne Auszubildende, Schüler/innen und Studierende) hat sich damit zwar nicht erhöht, er ist aber auch nur ganz leicht von 22,7 Prozent im Vorjahr auf 22,6 Prozent gesunken, ein unbedeutendes Minus von gerade mal 0,4 Prozent.

 

 Anteil der Niedriglohnbeschäftigten an allen abhäng. Beschäftigten ab 18 J. (in Prozent)

Entwicklung des Niedriglohnsektors bis 2015
Quelle: IAQ-Report Nr. 06/2017

 

Während sich in den Jahren 2009 bis 2011 noch fast ein Viertel aller abhängig Beschäftigten mit einem Niedriglohnjob hat begnügen müssen, sank ihr Anteil 2012 wieder auf unter 23 Prozent. Seitdem zeigt der Niedriglohnsektor nur eine geringe Dynamik. Wie schon in den Vorjahren, so arbeitete auch 2015 wieder mehr als jeder fünfte Beschäftigte zu Magerlöhnen. Das eröffnet düstere Perspektiven für die Zukunft, bedeutet es doch nicht anderes, als dass sich Niedriglohnbeschäftigung längst zu einem verfestigten Segment im Arbeitsmarkt entwickelt hat.

 

MinijobberInnen, befristet Beschäftigte und junge Menschen besonders betroffen

 

Das Risiko, zu Niedriglöhnen arbeiten zu müssen, ist sehr ungleich verteilt. Laut IAQ-Report sind die geringfügig Beschäftigten am stärksten betroffen. 77,4 Prozent aller MinijobberInnen kamen 2015 nur auf einen Stundenlohn unterhalb der Niedriglohnschwelle von 10,22 Euro. Damit sind mehr als ein Drittel aller Niedriglohnbeschäftigten geringfügig beschäftigt. Immerhin ist ihr Anteil gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken. Gestiegen ist dagegen der Anteil der jungen Beschäftigten (unter 25 J.) an allen Niedriglöhnern. 2015 lag er bei 12,6 Prozent. Damit musste weit mehr als die Hälfte (54,9 %) aller jungen Beschäftigten zu Niedriglöhnen arbeiten. Auch bei den befristet und/oder in Teilzeit Beschäftigten liegen die Anteile der Geringverdiener mit 37,8 bzw. 24,2 Prozent über dem Durchschnitt.

 

 Anteile abhäng. Beschäftigter mit Niedriglohn nach Beschäftigungsverhältnis (in Prozent)

Anteile abhängig Beschäftigter mit Niedriglohn nach Beschäftigungsverhältnis
Quelle: IAQ-Report Nr. 06/2017

 

Wenig Änderungen gab es bei der Gruppe der Geringqualifizierten. Auch 2015 lag der Stundenlohn von 43,6 Prozent aller abhängig Beschäftigten ohne Berufsausbildung unterhalb der Niedriglohnschwelle. Ihr Anteil an allen NiedriglohnbezieherInnen stieg damit jedoch auf 25,9 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, Niedriglöhne sind keine Frage der Qualifikation: „Die Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland sind weiterhin Beschäftigte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung“.

 

Fazit

 

Der Umfang der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland hat sich 2015 nur minimal verringert. Immer noch müssen mehr als 22 Prozent aller abhängig beschäftigten Erwachsenen als Geringverdiener ihr Erwerbsleben fristen. Das geht bereits seit 2006 so, und nach (unvollständigen) Zahlen aus der Entgeltstatistik der BA ist auch für 2016 keine Änderung in Sicht. Die Verfestigung des Niedriglohnsektors hat auch der Mindestlohn nicht aufbrechen können. Wie auch, wenn die Schwelle zum Niedriglohn längst bei über zehn Euro liegt.

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Quellen:

Kalina, T./ Weinkopf, C. (2017): Niedriglohnbeschäftigung 2015 – bislang kein Rückgang im Zuge der Mindestlohneinführung. IAQ-Report, Nr. 06/2017, Duisburg.

 

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2017): Beschäftigungsstatistik, Sozialversicherungspflichtige Bruttoarbeitsentgelte (Jahreszahlen), Stichtag 31. Dez. 2016, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Brenke, K./ Kritikos, A. S. (2017): Niedrige Stundenverdienste hinken bei der Lohnentwicklung nicht mehr hinterher. In: DIW-Wochenbericht, 84. Jg., Nr. 21, S. 407-416.

 

- Kalina, T./ Weinkopf, C. (2016): Arbeitsmarktchancen von Geringqualifizierten. IAQ-Report, Nr. 3/2016.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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