Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeit Zeitarbeit

 

LEIHARBEIT:

 

01/04/2017:

Die zahnlose Leiharbeitsnovelle tritt heute in Kraft

(von Markus Krüsemann)

 

Von heute an gilt das überarbeitete Regelwerk des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Die Reform verspricht Equal Pay in der Leiharbeit nach neun Monaten und eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Leiharbeitsbeschäftigte werden davon nicht profitieren, denn das Gesetz ist leider kein Aprilscherz, sondern eine dreiste Mogelpackung.

 

Nach langem Hin und Her ist heute das Gesetz zur Änderung der Arbeitnehmerüberlassung in Kraft getreten. Die Große Koalition meint, damit die ausufernde Leiharbeit wieder stärker regulieren, auf ihre Kernfunktion zurückführen und Missbrauch unterbinden zu können. Die oft zu lesenden Standard-Pressesprüche dazu lauten, der Gesetzgeber habe der Leiharbeitsbranche striktere Regulierungen auferlegt, weshalb diese nun schwereren Zeiten entgegengehe. Die Beschäftigten dagegen würden fortan bessergestellt und vor Missbrauch geschützt. Verwiesen wird dabei auf zwei zentrale Neureglungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Zum Einen müsse bei der Arbeitnehmerüberlassung künftig jedem Leiharbeitenden nach neun Monaten das gleiche Entgelt gezahlt werden wie der vergleichbaren Stammbelegschaft (Equal Pay). Zum Anderen werde die Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate begrenzt.

 

Offensichtlich hat die Politik der Leiharbeit Grenzen gezogen, dieser Eindruck wird wohl in der allgemeinen Wahrnehmung der Reform hängenbleiben. Nur wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass die Regierung auf der Karte der Arbeitnehmerüberlassungspraxis die Grenzlinien eher in einer Art Niemandsland eingezeichnet hat, dort, wo sie dem eingespielten Verfahren nur ganz selten in die Quere kommen werden. Gerade die beiden genannten Eckpunkte der Reform zeigen dies anschaulich.

 

Eckpunkt 1: Gleicher Lohn nach neun Monaten - wirkungslos

 

Nach neun Monaten gilt Equal Pay? Was zunächst nach klarer Kante klingt, erweist sich in der Praxis und dank der möglichen Schlupflöcher als Pseudoschwelle. Faktisch trifft die Begrenzung sowieso nur die wenigen Fälle einer länger andauernden Arbeitnehmerüberlassung. Von allen im ersten Halbjahr 2016 beendeten Arbeitsverhältnissen mit einem Verleihunternehmen dauerten 72 Prozent weniger als neun Monate. Die reine Einsatzzeit bei den Entleihbetrieben ist damit nicht einmal erfasst, sie kann durchaus kürzer sein.

 

Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsdauer bis zum Eintritt von Equal Pay durch tarifvertragliche Regelungen (Tarifverträge mit stufenweise sich erhöhenden Branchenzuschlägen) bis auf 15 Monate ausgedehnt werden kann. Diese Ausnahmeoption ist nicht auf tarifgebundene Entleihbetriebe beschränkt, denn nicht tarifgebundene Entleiher können die Anwendung solcher tarifvertraglichen Regelungen durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln vereinbaren.

 

Und es kommt noch besser: Kürzere Einsätze eines Leiharbeitsbeschäftigten summieren sich nur dann auf, wenn zwischen den einzelnen Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Bei Unterbrechungen von mehr als drei Monaten verfallen die „angesammelten“ Verleihzeiten und der erneut eingestellte Leiharbeitsbeschäftigte fängt wieder bei Null an.

 

Den Entleihbetrieben dürfte es nicht schwer fallen, die neuen Auflagen ins Leere laufen zu lassen. Es reicht schon, die Einsatzzeiten unter neun Monaten zu halten. Sollte die Leihkraft eine dauerhaft anfallende Arbeit billig bewältigt haben, so bieten sich zur Aufrechterhaltung der Kontinuität Rotationspools an. In solchen Fällen werden LeiharbeiterInnen zwischen Entleihern nach spätestens neun Monaten ausgetauscht. Der ursprüngliche Beschäftigte kann dann nach drei Monaten wieder an den alten Einsatzort zurückgeholt werden. Im einfachsten Fall spielt ein Verleihunternehmen Pingpong, indem es zwei Leihkräfte fristgerecht wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt.

 

Eckpunkt 2: Überlassungshöchstdauer 18 Monaten - wirkungslos

 

Kein Leiharbeitsverhältnis darf länger als 18 Monate dauern? Auch hier wird nur eine imaginäre Haltelinie gezogen, die durch im selben Gesetzentwurf enthaltene Ausnahmeregelungen praktisch ad absurdum geführt wird. Hinzu kommt, dass wie schon im Fall des Equal Pay die wenigsten Einsätze überhaupt so lange dauern. Im ersten Halbjahr 2016 betraf dies höchstens 15 Prozent aller Fälle von Leiharbeitsbeschäftigung.

 

Das erste Schlupfloch eröffnet sich auch hier wieder durch die Zulassung abweichender tarifvertraglicher Regelungen. Dort, wo Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche andere Vereinbarungen zur Laufzeit treffen, ist gesetzlich nicht einmal eine Höchstgrenze vorgesehen. Und weil die zeitliche Überlassungsgrenze nicht an die Aufgabe bzw. den Arbeitsplatz, sondern an den einzelnen Leiharbeitsbeschäftigten geknüpft ist, bewirken die neuen gesetzlichen Regelungen dank dieser zweiten Hintertür das Gegenteil dessen, was sie verkünden: Seit heute ist es wieder möglich, einen Arbeitsplatz dauerhaft mit (wechselnden) LeiharbeitnehmerInnen zu besetzen.

 

Nicht zuletzt wurden auch für nicht tarifgebundene Entleihbetriebe „Vorkehrungen“ getroffen. Diese können durch Bezugnahme auf abweichende Tarifverträge in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Überlassungshöchstdauer (pro Leihkraft) auf bis zu 24 Monate ausdehnen. Natürlich gilt auch für sie: Das AÜG verbietet nicht den Austausch von LeiharbeiterInnen auf demselben Arbeitsplatz.

 

Für alle Fälle, in denen selbst diese scheunentorgroßen Schlupflöcher nicht reichen, bieten sich auch hier die oben erwähnten Maßnahmen als probate Mittel an, das ganze Regelwerk auszuhebeln. Entleihbetriebe könnten also einfach die Einsatzzeiten ausreichend kurz halten oder auf das Instrument Rotationspool zurückgreifen.

 

Eine dreiste Mogelpackung

 

Wie sich zeigt, werden regulierende Einschnitte überwiegend nur vorgegaukelt. In den wichtigsten Eckpunkten ist die Novelle nichts anderes als eine dreiste Mogelpackung. Für LeiharbeitnehmerInnen ergeben sich aus der AÜG-Reform keine Verbesserungen. Die Zahl der in solchen prekären Arbeitsverhältnissen Beschäftigten wird durch die neuen Regelungen wohl kaum reduziert werden. Auch eine bessere Bezahlung ist in weite Ferne gerückt. Zudem laden die Klauseln zu weiterem Missbrauch geradezu ein.

 

Die betroffenen Entleihbetriebe jedenfalls werden kreative Lösungen bereits in der Schublade liegen haben. Gut möglich, dass dann häufiger auch auf andere Lohndumpingmodelle wie die Vergabe von Dienst- oder Werkverträgen zurückgegriffen wird. Die Bereitschaft jedenfalls, Leihkräfte irgendwann gleich zu entlohnen oder sie fest einzustellen, ist gering.

 

Eine Online-Umfrage einer Hamburger Unternehmensberatung unter 1.000 Entleihern mit mehr als 56.000 LeiharbeitnehmerInnen will in Erfahrung gebracht haben, dass 13 Prozent der befragten Unternehmen, die Leiharbeitskräfte einsetzen, bereit seien, Equal Pay zu zahlen. Die anderen wollen stattdessen die Einsatzzeiten entsprechend kürzen. Auch zeigten sich in der Umfrage weniger als elf Prozent der Entleiher gewillt, LeiharbeitnehmerInnen nach 18 Monaten zu übernehmen. Warum sollten sie auch? Es wäre also naiv, zu glauben, das reformierte Leiharbeitsgesetz werde die Übernahmequote in Stammarbeitsverhältnisse erhöhen. Auch solche Aussagen sind Bestandteile der Mogelpackung AÜG-Reform.

_________________

 

Quellen:

Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drucksache 18/9232 vom 20.07.2016.

 

Krüsemann, M. (2016): Der Versuch, Leiharbeit zu begrenzen und Werkvertragsarbeit einzuhegen, ist gescheitert. annotazioni.de vom 25.02.2016.

 

Sell, S. (2016): Ein "kleingehäckseltes" koalitionsvertragsinduziertes Abarbeitungsgesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen. Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 21.10.2016.

 

Gewerkschaftsforum Dortmund: Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG): Antworten auf sieben Kernfragen, Blogeintrag vom 21.02.2017.

 

Weiterlesen:

 

- Absenger, N./ Priebe, A. u.a. (2016): Leiharbeit und Werkverträge – Das aktuelle Reformvorhaben der Bundesregierung, WSI-Report Nr. 32, 10/2016, Düsseldorf.

 

- Reform der Leiharbeit. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 18/9723 (09/2016).

_______________________________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück