Aufstocker Geringverdiener

 

AUFSTOCKER:

 

02/02/2016:

Weniger Aufstocker im zweiten und dritten Quartal 2015

(von Markus Krüsemann)

 

 

Obwohl der seit Januar 2015 geltende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro zu niedrig bemessen ist, um allen Vollzeitbeschäftigten ein existenzsicherndes Arbeitseinkommen zu ermöglichen (vgl. 04.06.2014), so hat er (neben anderen Faktoren) doch seinen Teil dazu beigetragen, dass die Zahl der Aufstocker im Jahr 2015 deutlich niedriger liegt als in den Vorjahren. Das belegen jetzt bis September 2015 vorliegende Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA).

 

Demnach ist die Zahl der Erwerbstätigen, die ihr zu geringes Einkommen mit Arbeitslosengeld II-Zahlungen aufstocken müssen, in den ersten drei Quartalen jeweils im Vergleich zu den Vorjahresszahlen klar gesunken. Ende September 2015 erhielten insgesamt 1.233.520 Erwerbstätige zusätzliche Hartz IV-Leistungen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist dies ein Rückgang um 57.172 Personen (-4,4 %). Da die Zahl der in Selbstständigkeit tätigen Aufstocker im bisherigen Jahresvergleich nahezu unverändert blieb, geht der Rückgang ausschließlich auf das Konto der abhängig Erwerbstätigen. Deren Zahl sank laut BA zwischen September 2014 und September 2015 um 56.847 auf 1.127.550 Personen, ein Minus von 4,8 Prozent.

 

Entwicklung der Aufstockerzahlen von März 2010 bis Sept. 2015

Aufstocker Entwicklung
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende

 

Die heute von der BA vorgelegte Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende weist zudem nach Erwerbsformen differenzierte Zahlen aus. Sie zeigen, dass die Zahl der geringfügig beschäftigten wie auch der vollzeitbeschäftigten Hartz IV-Bezieher bis zum Ende des zweiten Quartals 2015 jeweils deutlich zurückgegangen ist, während die Zahl der teilzeitbeschäftigten Aufstocker gegen den Trend weiter anstieg.

 

Starke Rückgänge bei Minijobbern und Vollzeitbeschäftigten

 

Wie schon im ersten Quartal 2015 (siehe 29.10.2015), so hat es auch im zweiten Quartal die auffälligsten Rückgänge bei den Aufstockern gegeben, die ausschließlich in einem Minijob beschäftigt waren. Deren Zahl sank zwischen Juni 2014 und Juni 2015 um 10,9 Prozent auf zuletzt 545.940 Personen. Der Anteil der Minijobber an allen Beziehern von Hartz IV-Leistungen sank damit auf 12,4 Prozent. Im Durchschnitt der Jahre 2013 und 2014 hatte ihr Anteil noch bei 14,0 bzw. 13,8 Prozent gelegen.

 

Fortgesetzte Rückgänge gab es auch bei den vollzeitbeschäftigten Aufstockern. Deren Zahl ging bis Ende Juni auf 198.457 Personen zurück. Gegenüber den 212.614 im Juni 2014 noch gezählten Personen ist dies ein Rückgang um 6,7 Prozent.

 

Im Segment der Aufstocker mit sozialversicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigung verläuft die Entwicklung weiterhin konträr. Ihr Anteil an allen Leistungsbeziehern legte in der ersten Jahreshälfte nahezu kontinuierlich zu und lag zuletzt bei 8,9 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt waren das 390.205 Personen, 19.682 bzw. 5,3 Prozent mehr als noch im Juni 2014.

 

Der Einfluss des Mindestlohns

 

Die gegenläufige Entwicklung bei den aufstockenden Minijobbern und den teilzeitbeschäftigten Aufstockern ist das deutlichste Indiz dafür, dass der seit Januar 2015 geltende allgemeine gesetzliche Mindestlohn das Lohngefüge und die Struktur der Erwerbstätigkeit verändert und dadurch auch die Entwicklung bei den Aufstockerzahlen positiv beeinflusst. So lässt der Mindestlohn die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten schrumpfen (siehe 11.01.2016), wobei ein Teil dieser Minijobs in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt worden ist. Laut eines aktuellen Forschungsberichts des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kann etwas mehr als die Hälfte des Rückgangs bei den Minijobs dadurch erklärt werden, dass die betroffenen Personen direkt in eine ausschließlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechselten. Die steigende Zahl der teilzeitbeschäftigten Aufstocker ist im Wesentlichen also Resultat eines Verschiebebahnhofs: Viele Beschäftigte, die zuvor als Minijobber/innen nicht genug verdient haben, sind jetzt als Teilzeitbeschäftigte tätig, nur dass der Verdienst immer noch nicht zum Leben reicht.

 

Letzteres weist darauf hin, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zu einem zwar spürbaren, insgesamt aber doch eher geringen Rückgang der Zahl der abhängig erwerbstätigen Hartz-IV-Bezieher geführt hat.

 

  Abhängig erwerbstätige Aufstocker 2013 bis 2015 (jew. Jan. – Sept.)

Abhängig erwerbstätige Aufstocker
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende

 

Wie obige Grafik zeigt, bleibt die Zahl der abhängig erwerbstätigen Leistungsbezieher in allen neun Monaten des Jahres 2015 stabil unterhalb des Niveaus der beiden Vorjahre. In den bisher neun Berichtsmonaten waren es im Durchschnitt knapp 57.000 Personen weniger. Das entspricht in etwa einer Prognose des IAB vom Frühjahr 2014. Darin wurde die Zahl derjenigen, die nach Einführung des Mindestlohns nicht mehr auf zusätzliche Hartz IV-Leistungen angewiesen sein würden, auf etwa 60.000 geschätzt (siehe 16.04.2014).

 

Dass nicht mehr Personen auf den Bezug von Grundsicherungsleistungen verzichten können, liegt nicht nur an Niedriglöhnen, sondern auch an Art und Umfang der Erwerbstätigkeit. Die meisten Aufstocker arbeiten nur in Teilzeit oder Minijobs und erzielen so auch bei einer Bezahlung oberhalb des Mindestlohns zu geringe Einkommen, um allein daraus ihre Existenz (oder die eines gemeinsamen Haushalts) zu sichern. Damit sich das substanziell ändert, bleibt noch viel zu tun. Die Abschaffung der Minijobs und eine Erhöhung des Mindestlohns wären wichtige Schritte, denn immer noch sind insgesamt mehr als ein Viertel aller Bezieher von Arbeitslosengeld 2-Leistungen abhängig Erwerbstätige.

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Quellen:

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016): Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Januar 2016, Nürnberg.

 

IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hg.) (2016): Arbeitsmarktspiegel - Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe1), Kurzfassung des Forschungsberichts 1/2016, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015): Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen, Dezember 2015, Nürnberg.

 

- Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015): Aktuelle Daten aus der Grundsicherung, Erwerbstätigkeit von erwerbsfähigen Leistungsbeziehern, August 2015, Nürnberg.

 

- Bruckmeier, K./ Wiemers, J. (2015): Aufstocker: Trotz Mindestlohn: viele bedürftig. Wirtschaftsdienst, 95. Jg., Nr. 7, S. 444.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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