Leiharbeit Arbeitnehmerüberlassung

 

LEIHARBEIT:

 

01/04/2018:

Trotz Lohnanhebung erhalten viele Leiharbeiter nur Niedriglöhne

(von Markus Krüsemann)

 

Wie in den Entgeltvereinbarungen für die Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen, steigen heute die Löhne in allen Entgeltgruppen um 2,8 bzw. vier Prozent. Ein Großteil der Leiharbeitsbeschäftigten bleibt trotzdem im Niedriglohnsektor stecken. Dabei hätte es auch ganz anders kommen können, wenn die Gewerkschaften mit ihrer Forderung nach „Equal Pay“ ernst gemacht hätten.

 

Seit Januar 2012 gibt es in der Leiharbeitsbranche für Ost- und Westdeutschland tarifvertraglich festgelegte Lohnuntergrenzen (siehe 20.12.2011). Seitdem handeln die Arbeitgeberverbände iGZ und BAP mit der DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit in schöner Regelmäßigkeit Lohnanhebungen aus, die dank Mindestlohnverordnung auch zu für die gesamte Branche verbindlichen Mindestlöhnen erhoben werden. Das klingt gut, hat aber einen entscheidenden Makel: In den untersten Entgeltgruppen bewegen sich die Lohnanhebungen bis heute weit unterhalb der Niedriglohnschwelle.

 

Auch mit der heute in Kraft tretenden nächsten Stufe der Ende 2016 ausgehandelten Abfolge von Entgeltsteigerungen ändert sich daran nichts. Für Beschäftigte in den westdeutschen Bundesländern steigt das Mindestentgelt (Entgeltgruppe 1) um 2,8 Prozent von 9,23 auf 9,49 Euro. In den ostdeutschen Bundesländern werden mit 9,27 Euro ab heute 4 Prozent mehr Lohn fällig. In der nächsthöheren Entgeltgruppe werden im Westen 10,13 Euro, im Osten 9,37 Euro erreicht.

 

Was zunächst auffällt: Die Lohnangleichung zwischen Ost und West ist erneut ausgeblieben. Die unterschiedlichen Steigerungsraten lassen zwar einen Annäherungsprozess erkennen, der aber wird sich noch einige Jahre hinziehen. Nach den derzeit gültigen Vereinbarungen wird die Entgeltgleichheit in allen neun Entgeltgruppen frühestens zum 01.04.2021 erreicht sein. Nicht auszuschließen ist, dass zukünftige Tarifvereinbarungen dieses Ziel noch einmal aufweichen.

 

Weiterhin Billiglöhne nach Tarif

 

Ausgeblieben ist auch wieder mal der Sprung über die Niedriglohnschwelle. Laut der letzten Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes lag sie schon im Jahr 2014 bei 10,00 Euro pro Stunde (brutto). Schon damals hatten nach Angaben der Bundesregierung 39,5 Prozent aller Leiharbeitsbeschäftigten zu Niedriglöhnen gearbeitet, was angesichts der in der Entgeltgruppe 1 miserablen Bezahlung (2014: 8,50 € West; 7,86 € Ost) kaum verwundern dürfte. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) weist auf Basis einer anderen Berechnungsgrundlage für 2015 eine Niedriglohnschwelle von 10,22 Euro aus. Von solchen Verdiensten sind Leiharbeitsbeschäftigte nicht nur in der den Branchenmindestlohn setzenden untersten, sondern auch in der nächsthöheren Entgeltstufe immer noch weit entfernt.

 

Auf der Beschäftigungsebene von Helfertätigkeiten lag das mittlere Bruttoarbeitsentgelt von vollzeitbeschäftigten LeiharbeitnehmerInnen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit Ende 2016 bei 1.543 Euro im Monat. Zum Vergleich: Im Durchschnitt über alle Branchen lag das mittlere Bruttoarbeitsentgelt auf dem Anforderungsniveau der Helfertätigkeiten mit 2.133 Euro um krasse 38 Prozent höher als in der Arbeitnehmerüberlassung.

 

Mittlere Bruttoarbeitsentgelte von Vollzeitbeschäftigten in Euro insgesamt und von Leiharbeitnehmern zum 31.1.2016

Mittlere Bruttoarbeitsentgelte von Vollzeitbeschäftigten Ende 2016
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

 

Bei einer 35 Stunden-Woche (dies ist die tarifvertraglich vereinbarte Regelarbeitszeit) entspricht ein Monatslohn von 1.543 Euro einem rechnerischen Stundenlohn von 10,18 Euro. Die Hälfte aller als Helfer zu den Entleihbetrieben entsandten Vollzeit-Leihkräfte müsste demnach für einen Niedriglohn von weniger als 10,18 Euro/Std. arbeiten. Bedenkt man nun, dass 55 Prozent aller LeiharbeiterInnen (oft auch trotz individuell höherer Qualifizierung) nur auf dem Anforderungsniveau von Helfertätigkeiten eingesetzt wird, so wird die Dimension der Niedriglohnbeschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung deutlich.

 

Tarifverträge in der Leiharbeit sind so umstritten wie unnötig

 

Auch wenn Arbeit zu Niedriglöhnen nach Tarif weiterhin für einen großen Teil der Leihkräfte Realität bleibt: Es sind weniger die mageren Lohnabschlüsse, die den Gewerkschaften teils scharfe Kritik bescheren, als deren generelle Strategie, in der Leiharbeit ohne Not Tarifverträge abzuschließen und damit die eigentlich mögliche Durchsetzung von“Equal Pay“ (gleicher Lohn für gleiche Arbeit, egal ob in Leiharbeit oder in Festanstellung) zu verhindern. Dazu hätte es nur den Mut bedurft, die Ende 2016 auslaufenden Tarifverträge mit der Arbeitgeberseite nicht mehr zu verlängern.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher das im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltende Arbeitsentgelt zu zahlen. Von dieser Equal Pay-Auflage darf allerdings durch tarifvertragliche Vereinbarungen abgewichen werden. Genau darauf hatten sich die in der Tarifgemeinschaft Leiharbeit zusammengeschlossenen DGB-Gewerkschaften eingelassen, wohl wissend, dass sie damit die selbst immer wieder geforderte Entgeltgleichheit verhindern.

 

Ende 2016 hätten sie die Möglichkeit gehabt, ohne kostspielige Arbeitskämpfe diesem Spuk ein Ende zu setzen. Ohne die Abweichungen nach unten erlaubenden Tarifabsprachen hätte Leiharbeitskräften ab 2017 von der ersten Einsatzminute an der gleiche Lohn zugestanden wie den am Einsatzort Stammbeschäftigten. Doch statt das mit verursachte Schlupfloch für Lohndumping zu schließen und der Ausbeutung durch Leiharbeit schlagartig einen Riegel vorzuschieben, setzte sich die Tarifgemeinschaft an den Verhandlungstisch und einigte sich auf neue Verträge, deren Früchte die Leihkräfte jetzt in Form von häppchenweisen Lohnerhöhungen genießen dürfen. Die nächste dieser Lohnanhebungen steht im Januar 2019 an. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Branchenmindestlohn auch dann wieder in Ost wie West ein Niedriglohn bleiben wird.

 

Zumindest beim Thema Leiharbeit, wenn nicht generell, sollten sich die Gewerkschaften ernsthaft fragen, ob sie ihre Kernkompetenz „Interessenvertretung“ in Zukunft nicht mutiger und offensiver definieren müssen, sonst fragen sich die Mitglieder irgendwann noch, welche Interessen da eigentlich vertreten werden.

_________________

 

Quellen:

- Tariftabelle Leiharbeit/Zeitarbeit, Tarifvertrag DGB und iGZ/BAP zum 1.1.2017

 

- „Mehr Geld für Leihbeschäftigte“, IGMetall.de vom 28.03.2018

 

- Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2018): Blickpunkt Arbeitsmarkt – Aktuelle Entwicklungen der Zeitarbeit, Nürnberg, Februar 2018.

 

- Statistisches Bundesamt (Hg.) (2017): Verdienste auf einen Blick, Wiesbaden.

 

- Kalina, T./ Weinkopf, C. (2017): Niedriglohnbeschäftigung 2015 – bislang kein Rückgang im Zuge der Mindestlohneinführung. IAQ-Report, Nr. 06/2017, Duisburg.

 

- Bundesregierung (2016): Niedriglöhne in der Bundesrepublik Deutschland. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs 18/10582 (Dez. 2016).

 

Weiterlesen:

 

Krüsemann, M. (2016): Statt Entgeltgleichheit: Löhne in der Leiharbeit bleiben verhandelbar. Nachdenkseiten.de vom 06.12.2016.

_______________________________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück