Einkommensungleichheit Geringverdiener Niedriglöhne

 

GERINGVERDIENER:

 

09/12/2014:

OECD ist um wachsende Einkommensungleichheit besorgt, nicht aber um das Schicksal der Betroffenen

(von Markus Krüsemann)

 

 

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sorgt sich um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in vielen OECD-Ländern. Doch nicht das Schicksal der Geringverdiener und Einkommensarmen treibt sie um. Vielmehr geht es ihr um die Auswirkungen wachsender Einkommensungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung, denn ein neues OECD-Arbeitspapier zeigt hier einen negativen Zusammenhang auf.

 

Wie die Organisation zu den Ergebnissen der Studie mitteilt, sei die Kluft zwischen Arm und Reich heute in vielen OECD-Ländern so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr. Heute würden die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung im OECD-Raum neuneinhalb Mal mehr Einkommen erzielen als die ärmsten zehn Prozent. In den 1980er Jahren habe das Verhältnis noch bei 7:1 gelegen. Auch in Deutschland habe sich der Abstand zwischen Arm und Reich seit Mitte der 80er Jahre erhöht: Damals hätten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung fünf Mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent verdient. Heute liege das Verhältnis bei 7:1.

 

Die OECD wäre jedoch nicht die OECD, wenn sie sich um die Folgen für den ärmeren und weiter verarmenden Teil der Gesellschaft bzw. um die daraus erwachsende soziale Sprengkraft kümmern würde. Stattdessen sorgt sie sich um die negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum einzelner Volkswirtschaften. Kernaussage des Papiers ist nämlich, dass sich ein merklich negativer Einfluss der wachsende Einkommensungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung nachweisen lässt.

 

Für das Beispiel Deutschland zeige das Papier, dass das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1990 und 2010 um etwa 26 Prozent gewachsen sei. Bei gleichbleibender Einkommensungleichheit allerdings hätte das Wachstum nach Berechnungen der Autoren um fast sechs Prozentpunkte höher ausfallen können. Noch stärker sei der Effekt in Neuseeland oder Mexiko: Hier habe die wachsende Ungleichheit die Volkswirtschaften mehr als zehn Prozentpunkte ihres BIP-Wachstums gekostet.

 

Man mag von derartigen Rechensimulationen und Schätzungen halten was man will. Bemerkenswert ist: Der schon von anderer Seite nachgewiesene Zusammenhang, dass eine ökonomische und soziale Polarisierung der Gesellschaft, also eine Zunahme der Ungleichheit negative Wohlfahrtseffekte hervorruft (siehe 26.03.2013), wird von einer Organisation bekräftigt, die neoliberalen Umbauprojekten hin zu einer umfassend durchökonomisierten, von staatlichen Eingriffen weitgehend befreiten Wettbewerbsgesellschaft positiv gegenübersteht. Das sollte den Apologeten einer entfesselten Wirtschaft eigentlich zu denken geben. Die aber werden in ihrer ideologischen Verblendung wohl auch weiterhin am Ast sägen, auf dem sie selber sitzen. So wird die OECD sicher auch im nächsten Jahr die Sorge um die Folgen von Einkommenspolarisierung und Umverteilung umtreiben.

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Quellen:

OECD-Pressemeldung vom 09.12.2014

 

OECD (2014): Focus on Inequality and Growth – December 2014.

 

Süddeutsche.de vom 09.12.2014

 

Weiterlesen:

 

- Cingano, F. (2014), “Trends in Income Inequality and Its Impact on Economic Growth", OECD SEM Working Papers, No. 163.

 

- Ostry, J.D./ Berg, A./ Tsangarides, C.G. (2014): Redistribution, Inequality, and Growth. IMF Staff Discussion Note, International Monetary Fund, Feb. 2014.

 

- Brenke, K./ Wagner, G. G. (2013): Ungleiche Verteilung der Einkommen bremst das Wirtschaftswachstum. In: Wirtschaftsdienst, 93. Jg., H. 2, S. 110-116.

 

- Treeck, T.v./ Sturn, S. (2012): Income inequality as a cause of the Great Recession? A survey of current debates, International Labour Office, Genf.

 

- Pickett, K./ Wilkinson, R. (2010): Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin (Zusammenfassung).

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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