Mindestlohn Lohnuntergrenze

 

MINDESTLÖHNE:

 

17/03/2016:

Ein Nicht-Plus als Minus?
Beschäftigungseffekte des Mindestlohns auf Betriebsebene

(von Markus Krüsemann)

 

In allen bisher vorliegenden Mindestlohnbilanzierungen spielt die Frage nach den Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns eine wichtige Rolle. Beschäftigungsaufbau oder Jobverluste, darauf soll die Antwort hinauslaufen. Doch so einfach ist das nicht – zumindest dann nicht, wenn man auch noch über nicht entstandene Arbeitsplätze spekulieren will. Dann wird aus einem Nicht-Plus schnell ein Minus.

 

Über die Beschäftigungswirkungen eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland wurde bereits lange vor seiner Einführung zum Januar 2015 heftig gestritten. Gegner und Befürworter brachten sich mit Prognosen und Simulationsrechnungen in Stellung. In den Mainstream-Medien stießen, wenig überraschend, vor allem die Gegner einer Lohnuntergrenze - vom Sachverständigenrat (siehe 12.11.2015) über die Deutsche Bank (siehe 04.11.2013) bis hin zu diversen arbeitgebernahen Forschungsinstituten (siehe 20.03.2014) und Lobbyorganisationen - auf Widerhall, und so dominierten die Berichte von Horrorprognosen über die Zahl von der Vernichtung anheim fallenden Arbeitsplätzen.

 

Nichts davon ist nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes eingetreten. Soweit bisher absehbar, ist die Beschäftigungswirkung des Mindestlohns seit seiner Einführung entgegen zahlreicher Negativprognosen eine weitgehend positive. Zahlreiche Arbeitnehmer/innen hatten und haben mehr Geld in der Tasche, der private Konsum zog an, und nicht Jobverluste, sondern ein fortgesetzter Beschäftigungsaufbau, gerade auch in Niedriglohnbranchen, prägen bis heute das Bild am Arbeitsmarkt. Allenfalls bei den Minijobs hat es verkraftbare Einbußen gegeben: Der Mindestlohn hat offensichtlich die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten schrumpfen lassen (siehe 11.01.2016), wobei zumindest ein Teil dieser Minijobs in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt worden ist.

 

Anpassungen und Beschäftigungsentwicklungen auf der Betriebsebene

 

Die Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ist wohl auch deshalb problemlos verlaufen, weil viele Arbeitgeber bereits im Vorfeld der Mindestlohneinführung reagiert und ihre Gehaltsstrukturen angepasst hatten. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten schon im Jahr 2014 auffällig viele Betriebe den Mindestlohn bei Neueinstellungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung quasi vorweg genommen: Bei bundesweit 4,5 Prozent der Neueinstellungen im Jahr 2014 hatte der vereinbarte Stundenlohn exakt 8,50 Euro betragen. (Kubis u.a. 2015).

 

Zwei Forscher des IAB haben die Wirkungen des Mindestlohns in den von ihm betroffenen Betrieben ausführlicher unter die Lupe genommen. Unter anderem sollte ihre Untersuchung weitere Erkenntnisse zu den Beschäftigungseffekten in diesen Betrieben zu Tage fördern. Als von der Mindestlohneinführung betroffen gilt ihnen dabei jeder Betrieb, der im Jahr 2014 noch mindestens einem Beschäftigten einen Bruttostundenlohn von weniger als dem allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt hatte.

 

Unter Nutzung von Daten aus dem IAB-Betriebspanel der Jahre 2014 und 2015 errechneten sie in ihrer ökonometrischen Analyse für die vom Mindestlohn betroffenen Betriebe (denen sie als Kontrollgruppe die nicht betroffenen Betriebe gegenüberstellten) einen leichten negativen Beschäftigungseffekt. Laut der Schätzung soll es in der Gruppe der betroffenen Betriebe einen Beschäftigungsrückgang um 1,9 Prozent gegeben haben. Auf die Gesamtbeschäftigung in Deutschland bezogen würde dies Jobverluste in Höhe von 0,18 Prozent bedeuten.

 

Das Minus ist ein Nicht-Plus

 

Das wäre schon für sich genommen nicht viel, aber es kommt noch harmloser: Faktisch sind so gut wie gar keine Arbeitsplätze abgebaut worden, denn der negative Beschäftigungseffekt, die „employment reduction“, von der Bossler/Gerner ausdrücklich sprechen, beruht hauptsächlich auf einer Zurückhaltung bei Neueinstellungen. Die vom Mindestlohn betroffenen Betriebe haben ihr Personal weitgehend konstant gehalten. Dies wird erst und nur im Vergleich zur Kontrollgruppe der nicht betroffenen Betriebe zu einem negativen Faktum. Diese nämlich haben im gleichen Zeitraum ein Beschäftigungsplus von 1,7 Prozent vorzuweisen. Der negative Beschäftigungseffekt des Mindestlohns erschöpft sich also darin, dass er den Beschäftigungsaufbau in von ihm betroffenen Betrieben unterbunden hat. Ein Nicht-Plus also, das zum Minus wird.

 

Das Minus muss am Ende noch eine griffige Zahl bekommen: Rechnerisch hätten 60.000 zusätzliche Stellen (sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Minijobs) entstehen können, wenn der Mindestlohn nicht gekommen wäre, so die Autoren. Und, zack, da sind auch schon die Medien parat: "60 000 Jobs weniger", ist es FAZ.net (stellvertretend für viele andere) einen Titel wert. Die Autoren indes räumen in ihrem Fazit ein, dass dies doch weit entfernt sei von den stark pessimistischen Projektionen. Gleichwohl bewerten sie ihre Schätzung als „meaningful job loss“, den der Mindestlohn da ausgelöst habe.

 

Nur gut, dass der Effekt der Mindestlohneinführung für die real existierenden Beschäftigten in den betroffenen Betrieben positiver ausfiel. Dort löste der Mindestlohn einen Anstieg der durchschnittlichen Löhne um 4,8 Prozent aus.

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Quellen:

Bossler, M./ Gerner, H.-D. (2016): Employment effects of the new German minimum wage - Evidence from establishment-level micro data. IAB-Discussion Paper, No. 10/2016, Nürnberg.

 

Kubis, A./ Rebien, M./ Weber, E. (2015): Mindestlohn spielt schon im Vorfeld eine Rolle. IAB-Kurzbericht, Nr. 12/2015, Nürnberg.

 

Weiterlesen:

 

- Bossler, M. (2016): Auswirkungen des Mindestlohns im Jahr 2015. Bericht Nr. 01/2016 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg.

 

- IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hg.) (2016): Arbeitsmarktspiegel - Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe1), Kurzfassung des Forschungsberichts 1/2016, Nürnberg.

 

- Schulten, T./ Weinkopf, C. (2015): Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns – eine erste Zwischenbilanz. In: Körzell, S./ Falk, C. (Hg.): Kommt der Mindestlohn überall an? Eine Zwischenbilanz, Hamburg, S. 79-91.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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