Mindestlohn Lohnuntergrenze

 

MINDESTLÖHNE:

 

16/06/2016:

Lohn-Ausnahmeregel für Langzeitarbeitslose völlig nutzlos

(von Markus Krüsemann)

 

Neu eingestellten Beschäftigten, die zuvor langzeitarbeitslos waren, darf laut Gesetz in den ersten sechs Monaten ein Gehalt unterhalb des Mindestlohns gezahlt werden. Das soll ihnen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erleichtern. Wie Kritiker von Beginn an bezweifelten, stellt sich dies in der Praxis als völlig wirkungslos dar. Die Regel wird kaum in Anspruch genommen.

 

Unter den zu vielen Ausnahmen vom 2015 eingeführten gesetzlichen Mindestlohn (siehe 01.01.2015) stach von Anfang an eine als besonders fragwürdig hervor: Langzeitarbeitslosen darf in den ersten sechs Monaten einer neuen Anstellung der Mindestlohn vorenthalten werden. Angeblich sollte so Menschen, die ein Jahr oder länger ohne Job sind, der Wiedereinstieg in eine Beschäftigung erleichtert werden. Kritiker dieser Regelung zeigten sich von Anfang an skeptisch, ob Langzeitarbeitslosen damit die versprochene Brücke in den Arbeitsmarkt gebaut worden ist. Diese Skepsis herrschte damals auch im Arbeitsministerium vor, weshalb (und mehr war im Koalitionsgerangel wohl nicht durchsetzbar) in § 22 Abs. 4 des Mindestlohngesetzes bereits verfügt wurde: „Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll."

 

Ausnahmeregelung wird kaum genutzt

 

Schon vor diesem Stichtag zeichnete sich ab, dass die Regelung praktisch wirkungslos ist. Im Mai 2016 wurden erste aus der Bundesagentur für Arbeit (BA) stammende Zahlen bekannt. Danach hatten die Arbeitsagenturen und Jobcenter von August 2015 bis April 2016 gerade einmal 1.990 langzeitarbeitslosen Jobsuchenden jene Bescheinigungen ausgestellt, die für die Nutzung der Sonderregelung erforderlich ist. Damit wurden gerade einmal 0,3 Prozent der 2015 durchschnittlich 1,04 Millionen Langzeitarbeitslosen erreicht. Wie viele von ihnen dann tatsächliche eine Beschäftigung aufgenommen haben, ist nicht bekannt. Süddeutsche.de sprach damals bereits von der wahrscheinlich unsinnigsten Mindestlohnausnahme.

 

Nun liegt auch die für die Berichtspflicht der Bundesregierung anscheinend notwendige wissenschaftliche Expertise des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vor. Auf sage und schreibe mehr als einhundert Seiten kommen die Forscher am Ende zu einem eindeutigen Ergebnis: Es lassen sich keine Belege finden, dass Arbeitgeber aufgrund der Ausnahmeregelung verstärkt Langzeitarbeitslose unter Mindestlohn einstellen. „Eine Häufung von Einstellungen Langzeitarbeitsloser, entweder auf Kosten anderer ArbeitnehmerInnen oder zusätzlich zu diesen, ist weder auf Basis der Befragungsdaten noch auf Basis umfangreicher administrativer Daten zu erkennen“, zitiert FR online die entscheidende Passage aus dem Bericht.

 

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist...

 

Nach Informationen von Süddeutsche.de hat Arbeitsministerin Nahles dem Kanzleramt bereits die Abschaffung der Ausnahme empfohlen. Die Union will dies nur akzeptieren, wenn das gesamte Gesetzespaket noch einmal aufgeschnürt wird. Weil so aber auch die anderen Ausnahmeregelungen wieder zur Disposition gestellt würden, wird das Gesetz wohl nicht angetastet.

 

So bleibt eben alles wie es ist – und das mag am Ende noch das Beste sein, denn die Unternehmerlobby wittert schon Morgenluft für weitere Korrekturen. Statt der Abschaffung der unsinnigen Ausnahme möchte sie lieber noch zusätzliche Ausnahmen für Menschen, die noch nie gearbeitet haben, Menschen ohne ausreichende Qualifikation und für Praktikanten im Gesetz verankert sehen. Nanu? Diesmal haben sie die Flüchtlinge ganz vergessen.

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Quellen:

Süddeutsche.de vom 13.05.2016

 

FR online vom 16.06.2016

 

Süddeutsche.de vom 15.06.2016

 

Weiterlesen:

 

- Deutscher Bundestag (2016): Unterrichtung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Bericht des IAB „Mindestlohnbegleitforschung - Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose – Endbericht". Ausschussdrucksache 18(11)687 (Juni 2016), Berlin.

 

- Sell, S. (2016): Seine Anhebung als Gesamtabwägung oder Excel-Aufgabe. Bei Langzeitarbeitslosen läuft es nicht. Und dann auch noch der "Praktikumskiller". Die Rede ist vom gesetzlichen Mindestlohn. In: Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 16.05.2016.

 

- Sell, S. (2016): Die nicht existenten Nicht-Mindestlohn-Langzeitarbeitslosen. Von einer Opfergabe innerhalb der Großen Koalition vor dem Mindestlohngesetz zu einer erwartbar geplatzten Seifenblase. In: Aktuelle Sozialpolitik, Blogeintrag vom 12.05.2016.

 

- Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG).

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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