Leiharbeit Zeitarbeit Arbeitnehmerüberlassung

 

LEIHARBEIT:

 

10/06/2016:

Jobangebote aus der Leiharbeit weiterhin überproportional häufig

(von Markus Krüsemann)

 

Das von der Bundesagentur für Arbeit (BA) erfasste Angebot an offenen Stellen bestand 2010 erstmals zu mehr als einem Drittel aus Jobofferten aus der Leiharbeitsbranche. Nicht nur änderte sich dies in den Folgejahren nicht, auch die Vermittlungspraxis der BA geriet darüber in Verruf. Was hat sich seitdem getan?

 

Im Jahr 2010 hatte sich das von der Bundessagentur für Arbeit (BA) unter anderem auf ihrer Jobbörse veröffentlichte Angebot an offenen Stellen auffällig und nachhaltig verändert: Plötzlich waren mehr als ein Drittel der Jobofferten Angebote aus dem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Der damals nach der Finanzkrise wieder einsetzende Boom der Branche und die allgemeine Belebung am Arbeitsmarkt allein konnten dieses Phänomen nicht ausreichend erklären. Stattdessen wurde damals schon vermutet, dass immer mehr Betriebe dazu übergegangen waren, Stammbeschäftigte durch Leiharbeiter/innen zu ersetzen (siehe 28.07.2010).

 

Den Arbeitsagenturen kam der Boom gelegen, und es dürfte ihnen egal gewesen sein, wohin sie die Arbeitslosen und -suchenden vermittelten – zumindest solange, bis im Januar 2013 erstmals Kritik an ihrer Vermittlungspraxis laut wurde. Die Agenturen machten sich den Leiharbeitsboom zunutze, indem sie ihre Vermittlungserfolge überdurchschnittlich stark auf die Vermittlung in Leiharbeit begründeten, lautete ein bei taz.de vom 03.01.2013 zu lesender Vorwurf. Pikant daran: Der Vorwurf stammte aus den eigenen Reihen der BA. Der damalige Vorsitzende des Hauptpersonalrats, Eberhard Einsiedler, bemängelte in einem Diskussionspapier, dass die BA zu viel auf vermeintliche Erfolgszahlen statt auf die Qualität der vermittelten Jobs schaue. Obwohl die Leiharbeitjobs nur ein Drittel der offenen Stellen im BA-Angebot ausgemacht hätten, seien die Hälfte der den Arbeitslosen unterbreiteten Stellenangebote eben solche Leiharbeitsjobs gewesen. Einzelne Agenturen hätten sogar bis zu 70 Prozent ihrer Besetzungserfolge durch Vermittlung in Leiharbeit erzielt, so Einsiedler (siehe 03.01.2013)

 

"Fehlentwicklungen"

 

Die Arbeitsvermittler stehen dabei vor einem Dilemma. Den allermeisten dürfte sehr wohl bewusst sein, dass eine Vermittlung in Leiharbeit ihre „Kunden“ nur in den seltensten Fällen nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt integrieren wird. Auf der anderen Seite stehen sie unter dem Druck, die von oben geforderten Vermittlungszahlen zu erreichen. Muss es da wundern, wenn Arbeitslose in die Leiharbeit gedrängt wurden, zumal eine Vermittlung in Leiharbeit als genau so erfolgreich bewertet worden ist wie jede andere Vermittlung auch?

 

Gegenüber Welt online hatte BA-Chef Frank-Jürgen Weise damals einräumen müssen, dass es bei der Zusammenarbeit mit der Leiharbeitsbranche „Fehlentwicklungen“ gebe. Er kündigte an, die Messung des Vermittlungserfolgs abzuändern und dabei den Aspekt der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Nimmt man ihn beim Wort, so kann das nur bedeuten, dass zukünftig die Integration in Leiharbeit anders gewichtet werden müsste als eine Vermittlung direkt in einen Betrieb.

 

Wo bleibt die Trendwende?

 

Was auch immer intern davon umgesetzt wurde: Zu einer Trendwende bei der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsagenturen und Jobcenter hatte dies nicht geführt. Eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen vom Januar 2015 ergab, dass sowohl 2013 als auch 2014 von den jeweils gut 260.000 Vermittlungen der BA und der Jobcenter in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung jeweils etwa 81.000 auf die Branche der Arbeitnehmerüberlassung entfielen, was in beiden Jahren einem Anteil von mehr als dreißig Prozent entsprach. Gegenüber dem für 2012 ermittelten Anteil von 31,8 Prozent ist das wahrlich keine Wende zum Besseren gewesen. Damit sind Arbeitslose auch weiterhin überdurchschnittlich oft in Leiharbeit vermittelt worden.

 

In ihrer Antwort auf die Anfrage der Grünen wies die Bundesregierung allerdings darauf hin, dass die BA nunmehr ihr Zielsystem neu ausgerichtet habe. Die Nachhaltigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt werde höher bewertet, da dafür jetzt eine Mindestdauer des Beschäftigungsverhältnisses von sechs Monaten erreicht werden müsse. Vermittlungen in die Leiharbeitsbranche müssten demnach zukünftig mehrheitlich schlechter bewertet werden als die Integration Arbeitsloser in andere Branchen, könnte man daraus schlussfolgern.

 

Ein Jahr später jedoch zeigte sich, dass die Leiharbeit für die BA-Vermittler damit keinesfalls an Attraktivität verloren hat. Eine erneute parlamentarische Anfrage der nicht locker lassenden Bundestagsfraktion der Grünen vom Januar 2015 brachte es ans Licht: Im Zeitraum von Dezember 2014 bis November 2015 hat die BA 293.000 Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, davon nahmen 96.000 Personen bzw. 33 Prozent eine Beschäftigung in der Branche der  Arbeitnehmerüberlassung auf.

 

Angesichts dieser frustrierenden Zahlen dürfte wohl kaum noch jemand erwarten, dass die versprochene Trendwende dieses Jahr endlich einsetzt. Dazu hat sich zu wenig auf dem Stellenmarkt der BA geändert. Wie die Grafik zeigt, ist das Angebot an Leiharbeitsplätzen in den letzten Jahren nahezu unverändert hoch geblieben und erreicht weiterhin Anteile von knapp einem Drittel aller gemeldeten offenen Stellen.

 

 Anteil der Leiharbeitsofferten an allen der BA gemeldeten Arbeitsstellen (in Prozent)

Offene Stellen in der Leiharbeit
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete Arbeitsstellen (März 2010 bis März 2016)

 

Zuletzt (Mai 2016) waren von den 655.000 insgesamt bei der BA gemeldeten Arbeitsstellen 208.000 aus der Leiharbeitsbranche, was einem Anteil von 31,7 Prozent entspricht. Für die auf Erfolge angewiesenen Arbeitsvermittler ist das eine Größenordnung, an der sie nicht vorbei können.

 

Wie man sieht, ist Leiharbeit längst zu einer festen Größe auf dem Arbeitsmarkt geworden – und das müsste selbst die Verfechter der Leiharbeit eigentlich stutzig machen. Wenn seit Jahren annähernd ein Drittel der bei der BA gemeldeten offenen Stellen Leiharbeitsangebote sind, dann läuft bei dem angeblich so nötigen Flexibilisierungsinstrument zur Abarbeitung von Auftragsspitzen oder zur Überrückung von Personalengpässen grundsätzlich etwas schief. Es ist ja kaum wahrscheinlich, dass hunderttausende Betriebe über Jahre hinweg immer wieder unvorhersehbare Schwankungen erleiden und ganz plötzlich mal zusätzliches Personal benötigen. Viel wahrscheinlicher ist, sie haben Gefallen gefunden am bequem auch für dauerhaft anfallende Arbeiten zu habenden Lohndumping. Ein Anruf bei der BA genügt.

_______________________

 

Quellen:

taz.de vom 03.01.2013

 

Welt online vom 11.01.2013

 

Förderung der Leiharbeitsbranche durch die Bundesagentur für Arbeit. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 18/4022 (Feb. 2015).

 

Vermittlung in Leiharbeit durch die Bundesagentur für Arbeit. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 18/7819 (03/2016).

 

Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete Arbeitsstellen, Mai 2016, Nürnberg.

___________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück