Aufstocker Erwerbstätige in der Grundsicherung

 

AUFSTOCKER:

 

02/08/2016:

Die Aufstockerzahlen sind weiterhin leicht rückläufig

(von Markus Krüsemann)

 

Seit 2011 ist die Zahl der Erwerbstätigen, die ihr zu geringes Gehalt mit Arbeitslosengeld II-Zahlungen aufstocken müssen, leicht rückläufig. Mit Einführung des Mindestlohns hat sich der Schrumpfungsprozess erkennbar beschleunigt, ein Trend, der sich auch im ersten Quartal 2016 fortgesetzt hat. Gleichwohl bleibt der Einfluss der Lohnuntergrenze begrenzt.

 

Im Sommer 2010 war die Zahl der Aufstocker auf über 1,4 Millionen angestiegen. Fast 1,29 Millionen abhängig Erwerbstätige und 118.000 Selbstständige konnten von ihren Einkommen allein nicht leben. Etwa ein Jahr später setzte ein Trend ein, der bis heute angehalten hat: Die Zahl der abhängig Erwerbstätigen mit zusätzlichem Bezug von Arbeitslosengeld II ist seitdem leicht aber stetig rückläufig. 2015 erhielt die positive Entwicklung einen spürbaren Schub, denn im Verein mit weiteren Effekten wie etwa anderweitigen Lohnerhöhungen dämpfte der im Januar 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn die Zahl der abhängig erwerbstätigen Aufstocker um jahresdurchschnittlich fast 56.000 (siehe 03.05.2016). Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen, dass diese Entwicklung sich auf etwas schwächerem Niveau auch in den ersten drei Monaten des Jahres 2016 fortgesetzt hat.

 

Laut Statistik der BA lag die Zahl der abhängig Erwerbstätigen, die ergänzende Hartz IV-Leistungen bezogen haben, im ersten Quartal 2016 weiterhin spürbar unterhalb der Vorjahreszahlen. Ende März 2015 ging sie auf unter 1,09 Millionen zurück. Gegenüber dem Vorjahresmonat haben sich damit 41.000 weniger Personen im Leistungsbezug befunden, ein Minus von knapp 3,7 Prozent.

 

 Abhängig erwerbstätige Aufstocker Januar 2014 bis März 2016

Abhängig erwerbstätige Aufstocker seit 2014
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende

 

Dem Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, ist das zu wenig. Gegenüber FAZ.net sprach er von „sehr geringen“ Effekten, die der Mindestlohn auf die Entwicklung der Aufstockerzahlen habe. Denn natürlich sind nicht alle genannten 41.000 abhängig Erwerbstätigen allein wegen des Mindestlohns aus der Bedürftigkeit bzw. dem Leistungsbezug gefallen. Laut Möller sollen es nach neuesten Daten wohl weniger als 20.000 Personen sein, die speziell durch den Stundenlohn von 8,50 Euro nicht mehr auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Und er nannte auch gleich den entscheidenden Faktor: Die meisten Aufstocker sind nicht in Vollzeit erwerbstätig, sondern arbeiten in Teilzeit oder Minijobs mit deutlich geringerer Stundenzahl.

 

Nach Erwerbstätigkeit differenzierte Zahlen der BA liegen bis Ende 2015 vor. Ende Dezember waren demnach von den insgesamt 1,11 Millionen abhängig erwerbstätigen Aufstockern knapp 191.000 in sozialversicherungspflichtiger Vollzeit beschäftigt, was einem Anteil von 17 Prozent entsprach. Der Hauptanteil der erwerbstätigen Leistungsbezieher entfiel damit auf die 389.000 Teilzeitbeschäftigten und weitere 533.000 Minijobbende (ausschließlich geringfügig Beschäftigte und Personen ohne Beschäftigungsmeldung). Hinzu kamen noch 113.000 aufstockende Selbstständige.

 

 Entwicklung der Aufstockerzahlen von 2008 bis 2015

Entwicklung der Aufstockerzahlen (Halbjahre)
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende

 

Es dürfte auf der Hand liegen, dass ein Mindestlohn von gerade mal 8,50 Euro für Personen mit weniger als einer Vollzeitstelle wohl kaum eine allein auf Erwerbstätigkeit fußende Existenz sichern kann. Doch so neu ist die Erkenntnis nicht. Bereits im April 2014, also lange vor Einführung des Mindestlohns, hatte eine Studie just des IAB ergeben, dass die meisten Aufstocker trotz Mindestlohns bedürftig bleiben werden (siehe 16.04.2014). Da die Aufstocker mehrheitlich weniger als 22 Stunden in der Woche arbeiteten, würden die meisten von ihnen auch nach der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro weiter Hartz IV benötigen, lautete die damalige Begründung.

 

Gegenläufige Entwicklung bei einzelnen Erwerbsformen

 

Schaut man noch einmal auf die obige Grafik so fällt sofort ins Auge, dass die Zahl der geringfügig Beschäftigten Aufstocker 2015 deutlich weiter geschrumpft ist, während die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leistungsbezieher sogar angestiegen ist. Grund dafür ist eine seit Jahren zu beobachtende gegenläufige Entwicklung bei den einzelnen Erwerbsformen: Deutlichen Rückgängen bei den geringfügig beschäftigten wie auch den vollzeitbeschäftigten Hartz IV-Beziehern steht weiterhin ein ungebremstes Anwachsen der Zahl der teilzeitbeschäftigten Aufstocker gegenüber.

 

Ende 2015 zählte die BA 389.000 teilzeitbeschäftigte Aufstocker, das waren 22.000 mehr als im Vorjahresmonat (367.000). Ihr Anteil an den abhängig erwerbstätigen Leistungsbeziehern stieg damit von 31,7 auf 34,9 Prozent. Die Zahlen sind zum Einen Ausdruck eines ebenfalls schon länger anhaltend Trends zur (nicht immer freiwilligen) Teilzeitbeschäftigung (siehe 16.03.2015). Zum anderen dürfte die Verschiebung im Leistungsgefüge damit zusammenhängen, dass nach Einführung des Mindestlohns Minijobs in größerem Umfang in reguläre Teilzeitstellen umgewandelt worden sind (vgl. 11.07.2016), aber das ist wieder eine andere Geschichte.

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Quellen:

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016): Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Juli 2016, Nürnberg.

 

FAZ.net vom 01.08.2016

 

Weiterlesen:

 

- Bruckmeier, K./ Wiemers, J. (2016): Entwicklung der Zahl der Aufstocker nach Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung , Aktuelle Berichte, Nr. 10/2016, Nürnberg.

 

- IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hg.) (2016): Arbeitsmarktspiegel - Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe1), Kurzfassung des Forschungsberichts 1/2016, Nürnberg.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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