Einkommenspolarisierung Arbeitsarmut

 

EINKOMMENSPOLARISIERUNG:

 

22/05/2015:

OECD Sozialbericht sorgt sich erneut um zu hohe Ungleichheit

(von Markus Krüsemann)

 

 

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Weite Teile der Gesellschaft spüren die Folgen einer jahrelangen neoliberalen Politik der Umverteilung nach oben und drohen – wenn sie es nicht schon sind - von wirtschaftlichem Wachstum und wohlfahrtlicher Entwicklung abgehängt zu werden.

 

Die seit der Jahrtausendwende stark wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen hat jetzt erneut die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf den Plan gerufen. In ihrem dritten Sozialbericht zur Ungleichheitsentwicklung kritisiert sie für Deutschland den großen Verdienstabstand atypisch Beschäftigter zu regulär Beschäftigten und moniert zugleich die überdurchschnittlich ausgeprägte Vermögensungleichheit.

 

Den „Uns geht es gut“-SchönrednerInnen werden die Befunde des gestern von der OECD vorgestellten Sozialberichts nicht schmecken, geht doch aus ihm erneut (vgl. 10.07.2012) hervor, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland seit Anfang der 2000er-Jahre stark gestiegen ist. Wie die OECD in einer Pressemitteilung schreibt, verdienten hierzulande die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher mittlerweile 6,6-mal so viel wie die untersten 10 Prozent. In den 1980er Jahren lag dieses Verhältnis noch bei 5:1 und in den 1990er Jahren bei 6:1.

 

Zunahme atypischer Beschäftigung treibt Einkommenspolarisierung voran

 

Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung stellt laut OECD die Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse dar. Die dem Bericht zugeordnete Ländernotiz für Deutschland spricht davon, dass der zwischen 1995 und 2007 beobachtete Beschäftigungsanstieg von fünf Prozent das Ergebnis eines Anstieges atypischer Beschäftigungsverhältnisse war, die um 13 Prozent zunahmen. Im Jahr 2013 übten dann laut OECD nahezu 40 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland eine atypische Beschäftigung aus.

 

Diese Entwicklung habe die Einkommensungleichheit erheblich befördert, denn wie in anderen OECD-Ländern würden Menschen in atypischer Beschäftigung in Deutschland deutlich weniger als Normalbeschäftigte verdienen. So erhalte etwa ein befristet beschäftigter Vollzeit-Arbeitnehmer durchschnittlich nur 56 Prozent des jährlichen Arbeitseinkommens eines regulär Beschäftigten. Damit ist diese Einkommenslücke in Deutschland größer als in allen anderen OECD-Ländern außer Österreich.

 

Während die Einkommensungleichheit seit 2007 zumindest nach Zahlen der OECD auf hohem Niveau verharrt, ist die Vermögenskonzentration dagegen in den letzten Jahren alarmierend vorangeschritten. Mittlerweile besitzen die reichsten zehn Prozent nahezu 60 Prozent des gesamten Nettohaushaltsvermögens, während die unteren 60 Prozent der Bevölkerung lediglich 6 Prozent des gesamten Nettohaushaltsvermögens halten. Nur in den USA und Österreich ist die Vermögenskonzentration noch höher.

 

Ausmaß der Ungleichheit in den OECD-Staaten so hoch wie nie

 

Der jetzt vorgelegte Bericht ist bereits der dritte OECD-Report, der sich mit der voranschreitenden sozialen und ökonomischen Polarisierung in den fortgeschrittenen Industrienationen auseinandersetzt. Der erste Report zur Entwicklung der Ungleichheit in den OECD-Ländern erschien bereits 2008 unter dem damals noch mit einem Fragezeichen versehenen Titel „Growing Unequal?“. Offensichtlich handelte es sich da bereits um einen stabilen Trend, denn 2011 widmete sich die OECD dem Thema erneut – diesmal schon mit dem Titel „Divided We Stand: Why Inequalitiy Keeps Rising“. Bis zum aktuell dritten Bericht hat sich die Entwicklung nicht zum Besseren gewendet. Im Gegenteil: „Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute“, heißt es in der OECD-Pressemitteilung.

 

Reformvorschläge der OECD können nicht überzeugen

 

„Wir haben einen Wendepunkt erreicht“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Vorstellung des Berichts in Paris und meinte wohl, die Mitgliedsstaaten müssten jetzt unbedingt gegensteuern. Wie das gehen soll, dazu präsentiert der Sozialbericht allerdings nur ein paar handzahme Reformansätze. Die Vorschläge für eine Minimierung der Ungleichheit spiegeln deutlich die typische OECD-Wettbewerbsideologie.

 

So werden politische Maßnahmen zur Umverteilung nur vereinzelt und sehr abstrakt in Form einer erweiterten Steuerbemessungsgrundlage und einer sanften Korrektur bei der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung gefordert. Lieber werden für einzelne Politikfelder konkrete und vergleichsweise harmlose Reformvorschläge gemacht, die alle darauf abzielen, Chancengleichheit für jeden Einzelnen zu erhöhen: mehr Frauen in Vollzeitbeschäftigung bringen, qualitativ hochwertigere Jobs schaffen, Schulbildung verbessern, mehr Bildungsabschlüsse, bessere frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote schaffen usw.

 

In der ökonomistischen Logik der OECD ist halt jeder seines eigenen Glückes Schmied. Der Staat hat nur für gerechte Rahmenbedingungen, für chancengleichen Wettbewerb der Menschen untereinander zu sorgen. Für echte politische Reformen, für Armutsbekämpfung, höhere Löhnen und die Schaffung einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt ist da kein Platz.

__________________

 

Quellen:

OECD-Pressemitteilung vom 21.05.2014

 

OECD (2015): In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Ländernotiz für Deutschland.

 

Weiterlesen:

 

- OECD (2015): In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Paris.

 

- OECD (2014): Focus on Inequality and Growth – December 2014.

 

- OECD (2012b): OECD-Beschäftigungsausblick 2012 – Zusammenfassung in Deutsch, Paris.

__________________________________________________________________

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

zurück