atypische Beschäftigung

 

ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG:

 

22/01/2015:

Steigende Erwerbstätigenzahlen machen noch kein Jobwunder

(von Markus Krüsemann)

 

 

Die seit einiger Zeit nahezu kontinuierlich steigende Zahl an Erwerbstätigen wird in der breiten Öffentlichkeit als positive Beschäftigungsentwicklung auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen – nicht zuletzt weil die Entwicklung in den Medien mit gewisser Penetranz als „Jobwunder“ verkauft wird.

 

Gerne fällt bei den Jubelmeldungen unter den Tisch, dass der Begriff der Erwerbstätigkeit nichts über die Art der Beschäftigung aussagt (als erwerbstätig gilt jeder, sobald er mindestens eine Stunde pro Woche gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet hat). Und ebenso gerne wird dabei „vergessen“, dass sich der Beschäftigungszuwachs der vergangenen zehn Jahre im Wesentlichen einer Zunahme atypischer, unsicherer und schlecht bezahlter Jobs verdankt (siehe 16.12.2011 und 20.01.2014).

 

Der Volkswirt Sven Schreiber vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat sich in einer Studie erneut mit der Entwicklung der Erwerbstätigenquote, speziell im europäischen Vergleich auseinandergesetzt. Dank seiner differenzierteren Erfassung der Erwerbstätigenquote bleibt von der Vorstellung eines in Europa herausragenden Jobwunders wenig übrig.

 

Wie es in einer Pressemeldung zur Studie von Sven Schreiber heißt, sehe es auf den ersten Blick so aus, als sei der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassung, denn laut der nominellen Erwerbstätigenquote hätten in kaum einem anderen Land in Europa so viele Menschen eine Arbeit wie in der Bundesrepublik. Da die Zahlen jedoch nichts über die Art der Beschäftigung aussagten oder darüber, wie viel die Menschen arbeiteten, habe Schreiber in seiner Analyse eine korrigierte Erwerbstätigenquote errechnet, die nicht allein die Zahl der Erwerbstätigen, sondern auch deren Arbeitszeit berücksichtige.

 

Um die Erwerbstätigenquote um Teilzeiteffekte zu bereinigen, habe Schreiber alle Arbeitsstunden auf Vollzeitstellen umgerechnet. Bei der so korrigierten Erwerbstätigenquote stehe Deutschland mit gut 66 Prozent deutlich schlechter da, im europäischen Vergleich statt Platz fünf nur noch auf Platz elf.

 

Dass die Korrektur für Deutschland so stark ausfällt ist vor allem zwei Faktoren geschuldet: Erstens gebe es mit etwa einem Viertel der Beschäftigten einen hohen Anteil an Teilzeitarbeit, zweitens arbeiteten die Teilzeitbeschäftigten vergleichsweise kurz, was mit der Verbreitung von Minijobs zusammenhänge, die etwa die Hälfte der gesamten Teilzeitbeschäftigten in Deutschland ausmachten.

 

Auffällig ist auch, dass viele Beschäftigte in Deutschland unfreiwillig zu reduzierter Stundenzahl arbeiten. Schreiber belegt dies mit Zahlen aus der europäischen Arbeitskräfteerhebung (AKE). Dort hätten drei Viertel der Teilzeitbeschäftigten angegeben, dass sie entweder keine Vollzeitstelle finden konnten oder aus familiären Gründen (etwa der Betreuung von Kindern und Angehörigen) in Teilzeit arbeiteten. Bis zu einem echten Jobwunder bedarf es also noch einiger tiefgreifender Arbeitsmarktkorrekturen…

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Quellen:

IMK-Pressemitteilung vom 21.01.2015

 

Arbeitsmarkt: Die Kehrseite des „Jobwunders“, Böckler impuls, Nr. 01/2015 vom 22.01.2015

 

Weiterlesen:

 

- Schreiber, S. (2015): Erwerbstätigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich, IMK Report, Nr. 103, Januar 2015.

 

- Knuth, M (2015): Zehn Jahre Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ein kritischer Rückblick auf "Hartz IV". IAQ-Standpunkte, Nr. 01.

 

- Arbeitsmarkt - Atypisch ist fast normal. In: Böckler impuls, Nr, 14/2014 vom 25.09.2014.

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Markus Krüsemann

 

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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