Einkommenspolarisierung Umverteilung

 

UMVERTEILUNG:

 

17/06/2015:

Einkommensungleichheit nahm 2011/2012 wieder zu

(von Markus Krüsemann)

 

 

Seit Beginn der 1990er Jahre driften auch in Deutschland die Erwerbs- und Kapitaleinkommen immer weiter auseinander. Insbesondere das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wird als eine Dekade der Einkommenspolarisierung und der zunehmenden sozialen Ungleichheit in die Geschichtsbücher nicht nur der Wirtschaftshistoriker eingehen.

 

Nachdem der jüngst veröffentlichte Sozialbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erneut bestätigt hat, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland seit Anfang der 2000er-Jahre stark gestiegen ist (siehe 22.05.2015), sah sich nun auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) veranlasst, seine bisherigen Untersuchungen zur personellen Einkommensungleichheit in Deutschland bis zum Jahr 2012 zu aktualisieren und darüber hinaus um Analysen zur relativen Einkommensarmut und materiellen Deprivation zu erweitern. Fazit: Im Vergleich zu 2011 hat sich nichts zum Positiven verändert.

 

Die bisher bekannten Befunde des DIW stammen aus dem Spätherbst 2013. Sie bezogen sich auf die Einkommensentwicklung von der Jahrtausendwende bis zum Jahr 2011 und lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

 

Bis 2011 haben sich die verfügbaren Haushaltseinkommen sehr unterschiedlich entwickelt. Die höchsten Einkommen (oberstes Dezil) sind um 13 Prozent gewachsen, und auch das neunte und achte Dezil hatte drei bis vier Prozent Einkommenszuwächse erzielen können. Im siebten bis fünften Dezil hingegen stagnierten die Einkommen, während es im vierten bis ersten Dezil (den untersten Einkommensgruppen) Einkommensrückgänge von bis zu fünf Prozent gegeben hat (siehe 13.11.2013).

 

In dem von der aktuell vorliegenden Analyse betrachteten Zeitraum von 2000 bis 2012 hat sich der Negativtrend weiter fortgesetzt. Danach ist das verfügbare Realeinkommen (Erwerbs- und Kapitaleinkommen) der höchsten Einkommensgruppe (oberstes Dezil) zwischen 2000 und 2012 sogar um knapp 17 Prozent, das des achten und neunten Dezils um fünf beziehungsweise sieben Prozent angestiegen. Während in den mittleren Einkommensgruppen die Einkommen fast unverändert geblieben sind, mussten die unteren Einkommensgruppen (untere vier Dezile) 2012 Rückgänge von real bis zu vier Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 in Kauf nehmen. Hier spielten nach Ansicht der Forscher die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die unzureichende Anpassung von Sozialleistungen an die Inflation entscheidende Rollen.

 

Über alle Einkommensgruppen hinweg betrachtet hat die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen vor allem zwischen 2000 und 2005 stark zugenommen. Nachdem die DIW-Forscher für das Jahr 2010 erstmals nach Jahren eine Abschwächung der Einkommenspolarisierung feststellen konnten und darin bereits Anzeichen für eine einsetzende Kehrtwende sahen (siehe 25.10.2012), müssen sie jetzt konstatieren, dass die Ungleichheit in den Jahren 2011 und 2012 wieder leicht angestiegen ist. Die Steigerung liegt allerdings in einem Bereich, der für die Wissenschaftler statistisch noch nicht signifikant ist.

 

Auch Armutsrisiko bei Erwerbstätigen seit Jahrtausendwende stark gestiegen

 

In ihrer aktuellen Analyse haben die Forscher auch untersucht, wie sich das Armutsrisiko in Deutschland entwickelt hat. Hier zeigte sich, dass auch immer mehr Erwerbstätige von Armut bedroht sind. Betroffen sind vor allem Berufseinsteiger im Alter von 25 bis 35 Jahren. Von ihnen hat fast jeder Fünfte weniger als 949 Euro pro Monat zur Verfügung.

 

Besonders hoch ist die Armutsrisikoquote in dieser Altersgruppe für Alleinlebende. Sie stieg von circa 27 Prozent im Jahr 2000 auf zuletzt etwa 39 Prozent. Laut DIW-Pressemitteilung liege ein Grund dafür in den zu Beginn des Erwerbslebens oft niedrigen Arbeitseinkommen, insbesondere bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen.

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Quellen:

Pressemitteilung des DIW vom 17.06.2015

 

Goebel, J./ Grabka, M./ Schröder, C. (2015): Einkommensungleichheit in Deutschland bleibt weiterhin hoch: junge Alleinlebende und Berufseinsteiger sind zunehmend von Armut bedroht. DIW Wochenbericht, 82. Jg., Nr. 25, S. 571-586.

 

Weiterlesen:

 

- OECD (2015): In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Ländernotiz für Deutschland.

 

- Verteilung: Mehr Gerechtigkeit, mehr Wachstum. In: Böckler Impuls Nr. 10/2015 vom 11. Juni 2015.

 

- Grabka, M./ Goebel, J. (2013): Rückgang der Einkommensungleichheit stockt. DIW Wochenbericht, 80. Jg., Nr. 46, S. 13-23.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

 

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